Staub fegen…
pattram pushpam phalam toyam / yo ich bhaktya prayacchati
Tad aham bhakti-upahrtam / ashnami prayata-atmanah
Was auch immer mir mit reinem liebenden Herzen dargeboten wird, egal ob es so klein ist wie ein Blatt, eine Blume, ein Stück Frucht oder ein Schluck Wasser, ich werde es gern annehmen.
Bhagavad Gita IX.26
Als ich zum ersten Mal nach Indien ging, war ich ganz erpicht darauf, indische Miniaturmalereien aus dem sechzehnten Jahrhundert anzusehen. Ich hatte viele von ihnen in Museen im Westen gesehen und ich nahm an, dass ich in Indien die besten Sammlungen finden würde. Aber die Museen in Indien werden schlecht beleuchtet, so dass ich nichts sehen konnte. Was ich aber fand, war die unglaubliche künstlerische Schönheit in einem von Hand bemalten Löffel, einem mit Dekorierstoff bezogenem Stuhl, einer Tonschale, einem bestickten Umhängetuch, einer von Hand gewebten Kappe für Männer und Teppiche, hergestellt aus Stoffresten, sogenannte Flicken-Teppiche. Ich gab das Suchen nach Kunst im Museum auf und fand sie stattdessen im täglichem Leben.
Mit dem Anbeten ist es genauso. Wir können nach Gott im Museum, in der Kirche oder im Tempel suchen, aber Gott ist nicht auf diese Orte beschränkt: Er ist überall. Aber wie finden wir Gott überall? Indem wir jeden als Gott behandeln. Und wie möchte Gott behandelt werden? In diesem Vers sagt der Herr, bringe mir ein Blatt, eine Blume, eine Frucht oder etwas Wasser mit Hingabe. Er will etwas Schlichtes, das Zuneigung ausdrückt. Wenn wir das mit jedem tun können, werden wir die Bedeutung dieses Verses erkennen.
Ein Räucherstäbchen, ein gutes Wort, Futter für einen Hund, sich einen Text einprägen, sich einmal verbeugen oder eine warme Schale Tee, alles ist Gott willkommen.
2009 verstarb mein Guru Sri. K. Pattabhi Jois. Kurze Zeit später bat ich seine Tochter Saraswati um etwas, dass ihm gehört hatte. Sie beschenkte mich mit einem alten abgetragenen Umhängetuch. Es wurde in ihren Händen gefaltet und sie reichte es mir mit den Worten: “Es war Gurujis Lieblingstuch. Es ist sehr einfach. Du wirst es mögen. Er mochte die modischen nicht. ” Dieses Umhängetuch, zerschlissen an mehreren Stellen, war eine vollkommene Gabe. Es erfreute mich außerordentlich und auf diese Weise hatte Saraswati Gott erfreut. Dem Herrn zu gefallen, befreit uns von Spannungen. Mich glücklich gemacht zu haben, machte sie glücklich, sogar inmitten dieser traurigen Zeit.Â
Es gibt einen Mann, den ich in Indien kenne, der keine Beine hat; er ist von den Hüften an abgeschnitten. Er hat ein Stück Holz, auf dem er sich festgebunden hat und sich mit den Armen zieht. Er sitzt an einer Stelle, an der ich öfter vorbeikomme, bittet um Geld, und ruft, ” Amma, Amma ” Er nennt mich Mutter. Er will, dass ich ihm Freundlichkeit entgegenbringe; er will, dass ich Gott in den Leidenden sehe. Guruji sagte mir einst, dass dieser Mann Gott sei, “maskiert”.
Das Wort Asana bedeutet Sitz, etwas um sich anzulehnen, eine Unterstützung zu haben. Jemandem Unterstützung anzubieten kann vielfältige Formen annehmen. Diese verschiedenen Wege können die Fäden sein, die alles zusammenhalten. Geschenke verbinden Geber und Empfänger geistig.
Leider verschwinden Blätter, Blumen, Früchte und Wasser, indem wir die Erde zerstören. Die Beste Gabe, die wir in diesen Zeiten machen können, ist es vegetarisch zu leben, eine schonende und nachhaltige Form der Ernährung, die den Pflanzen, den Tieren, dem Klima und den Menschen den geringstmöglichen Schaden zufügt. Wenn wir fortfahren, die Wälder, Bäume, Sträucher, Grasebenen, Wiesen, Sümpfe, Graslandschaften, Pflanzen, Wurzeln, Blumen, Insekten und Unkraut zu vernichten, um dann Monokulturen  anzubauen, mit denen wir dann die Tiere füttern, die geschlachtet werden, wird es bald keine Blätter, keine Blumen, keine Früchte und kein Wasser mehr geben.
Die Schriften sind voll mit offensichtlichen und nicht so offensichtlichen prophetischen Bedeutungen. Vielleicht sagt uns Gott in diesem Vers aus der Bhagavad Gita, dass Blätter, Blumen, Früchte und Wasser Geschenke von ihm für uns sind, welche wir schützen sollten um sie ihm wieder als Gabe zurückbringen zu können.
Mein Ehemann Robert und ich leben in einer Blockhütte im Wald. Oft kommen Bienen, Wespen, fliegende Ameisen, gelegentlich sogar mal eine Schlange in unser Haus. Mein Ehemann weiß, wie man diese Tiere angemessen behandelt. Ohne ihnen Schaden zuzufügen, stellt er einen Behälter über sie, lässt ein Stück Papier darunter gleiten und bringt sie wieder nach draußen.
 “Staub fegen“ ist eine Redewendung, mit der man sagen will, dass es Sinn macht, sich um unsere Erde, den Boden unter uns, zu kümmern. Traditionell hat der Yogi immer auf dem Boden gesessen. Nur den Älteren oder einem außerordentlich geachtetem Meister wurde ein Stuhl gegeben. Alles ruht auf dem Boden. Der Boden ist unsere Stütze. Es ist der Boden, auf dem wir zusammen sitzen und auf dem wir unsere Geschichten erzählen können. “Staub fegen” ist eine Metapher. In diesem Geist opfere ich Gott dieses Buch, so wie ein winziges Stück des zerrissenen Umhängetuches von Guruji.
-Ruth Lauer Manenti, aus der Einführung zu ihrem neuesten Buch „Sweeping the Dust“
Deutsche Übersetzung © Jivamukti Berlin GmbH (JYB-Lehrer Juli Werner); englische Originalfassung unter https://jivamuktiyoga.com/focus/focus.jsp )
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team