aparigraha-sthairye janma-kathaṁtā-sambodhaḥ
(PYS II.39)
Wenn man selbstlos wird und aufhört, mehr zu nehmen, als man braucht, erlangt man das Wissen, warum man geboren wurde.
In den Yoga Sutren gibt uns Patanjali fünf Empfehlungen, Yamas genannt, wie wir uns anderen gegenüber verhalten sollten, wenn wir Befreiung erreichen möchten. Das fünfte „Yama“ ist „aparigraha“, was „frei von Gier“ bedeutet. Wenn wir auf Kosten anderer nach Glück streben, dann kann man das „Gier“ nennen. Patanjali empfiehlt, dass Yogis, die nach Erleuchtung streben, ein einfaches Leben führen sollten, das auf Maßhalten und nicht auf exzessivem Konsum basieren sollte. Mit anderen Worten: „Lebe einfach, so dass auch andere einfach leben können.“
Echte (Grund-)Bedürfnisse sind nicht falsch. Aber Begehrlichkeiten (i.S. Verlangen) können problematisch werden. Wir haben uns daran gewöhnt, das Glück außerhalb von uns zu suchen, und einhergehend damit haben wir starke Abhängigkeiten geschaffen, die unsere Entscheidungen steuern. Viele von uns haben den Bezug zu unserem innersten Selbst verloren, so dass wir nicht mehr wissen, wo die natürlichen Bedürfnisse aufhören und das Verlangen beginnt. Wir identifizieren uns damit, was wir besitzen, brauchen und wollen. Bedingt durch avidya (Ignoranz), welche asmita (übermäßige Identifikation mit dem Ego) zur Folge hat, denken wir, dass wir unsere Persönlichkeit sind, und durch diesen Glauben verlieren wir die Verbindung zu unserem wirklichen Selbst.
Unsere Kultur hat uns über Jahrtausende darauf konditioniert, zu horten, Vorräte anzulegen, Dinge anzuhäufen und für schlechte Zeiten zu sparen. Die Menge der Dinge, die wir besitzen, gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und schafft ein Recht auf Selbstgefälligkeit, dass wir an unsere Kinder weitergeben in der Hoffnung, so in Erinnerung zu bleiben bzw. sogar unsterblich zu werden.
Kein anderes Tier, außer uns, würde einen ganzen Wald zerstören oder die Auslöschung einer ganzen Art bewirken, und sich dabei vormachen, dass dies keinen negativen Effekt auf sie oder das Leben ihrer Kinder hätte. Im Gegensatz zu uns, schleichen Tiere sich ihrem Essen nicht mit Tüten an, schaufeln das Essen nicht in solche Tüten hinein, und füllen nicht die Tüten und tragen sie dann nicht weg, ohne etwas für andere übrig zu lassen.
Nach Aussagen der U.N. werden weltweit jedes Jahr über 52 Milliarden Tiere für Essen getötet. Alleine in den USA werden jährlich annähernd 10 Milliarden Landtiere und viele mehre Milliarden von Meerestieren für Essen geschlachtet. Es ist schwer zu sagen, wie viele Meerestiere getötet werden, da sie nicht einzeln statistisch erfasst werden, sondern in Tonnen. Dies sind wahrhaft niederschmetternde Zahlen, besonders wenn man in Betracht zieht, dass die menschliche Bevölkerung der USA nur ungefähr 304 Millionen beträgt und es „nur“ 6,7 Milliarden Menschen auf dem ganzen Planeten gibt. Diese Milliarden von leidenden und in Schrecken versetzten Tiere führen zu einer Atmosphäre von Angst, Schrecken und Gewalt auf unserem Planeten, in der wir jeden Tag leben und atmen. Man könnte diese massenhafte Tierschlachtung ohne weiteres als exzessiv bezeichnen.
Wir sind am Rande einer Apokalypse, welche – wie manche prophezeit haben – im Jahr 2012 zu einer radikalen Veränderung führen wird, in Hinblick auf unsere bisherige Beziehung zur Zeit. Das griechische Wort Apokalypse bedeutet „offenbaren, enthüllen, nackt dastehen, ausgesetzt sein ohne Hilfsmittel, Kleidung oder Besitztümer“. Eine Schlussfolgerung aus der Apokalypse könnte sein, dass, wenn wir davon Abstand nehmen, an Dingen festzuhalten bzw. anfangen, weniger gierig zu sein, unsere Hände offen sein werden, um alles aufzunehmen.
Wir haben eine Beziehung zur Zeit entwickelt, von der wir glauben, dass das Leben aus einer linearen Abfolge von Ereignissen besteht. Zivilisierte Menschen haben ihre Verbindung zu den Zyklen der Natur verloren. Wir sind zeitgebunden geworden, versklavt von Uhr und Armbanduhr. Wenn wir dagegen vollständig im gegenwärtigen Moment wären, hätten wir weniger Angst davor, nicht genug in der Zukunft zu haben und eine weniger ausgeprägte Tendenz, ständig gierig irgendwelche Rücklagen anzusammeln. Alle unsere Ängste lassen sich auf die Verlustangst herunter brechen: die Angst Ruhm, Jugend, Geld, Haare, Gesundheit, Liebe und letztendlich den Körper zu verlieren. Das „Begehren Dinge zu besitzen“ loszulassen (einschließlich des Wunsches, den eigenen Körper zu besitzen) führt dazu, dass wir uns von der Angst vor dem Tod befreien. Wenn Du von dir selbst glaubst, sterblich zu sein, wird dein ganzes Leben von Todesangst verfolgt sein. Durch das Praktizieren von aparigraha wird dem Yogi(ni) bewusst, dass seine/ihre Existenz nie geboren wurde und mit dieser Erkenntnis ist er/sie in der Lage, den Tod zu besiegen; denn nur die, die darauf beharren, geboren worden zu sein, werden sterben. Durch die Wahl eines mitfühlenden, veganen Lifestyles tun wir den ersten großen Schritt in Richtung aparigraha und schreiten damit in eine helle, erleuchtete Zukunft für uns, für die Tiere und für diesen Planeten.
– Sharon Gannon, Adaption aus dem Buch Yoga and Vegetarianism
Deutsche Übersetzung © Jivamukti Berlin GmbH; englische Originalfassung unter https://jivamuktiyoga.com/focus/focus.jsp
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team