Es gibt viele mögliche Hindernisse auf dem Weg zur Erleuchtung, aber es gibt eines, das eine besondere Herausforderung ist, und das die Basis von vielen, wenn nicht den meisten anderen Hindernissen formt: Negative Emotionen.
Negative Emotionen existieren in verschiedenen Formen, aber alle resultieren aus einer überhöhten Wertschätzung des Selbst – also davon dass wir uns selbst als getrennt von anderen vorstellen – und aus dem Festhalten an diesem Gefühl des Getrenntseins (dass wir bestimmte Dinge auf unsere Art und Weise wollen). Diese Gefühle zeigen sich oft ganz offensichtlich, wie etwa in dem Gefühl, wütend zu sein, eifersüchtig, ängstlich oder wetteifernd. Und sie zeigen sich auf subtiler Ebene, wie in der Beschuldigung anderer, in einem Gefühl von Stolz oder Überlegenheit, dem Gefühl, dass andere uns ungerecht behandelt haben, einem guten Gefühl, das aufkommt, wenn andere Unglück erleben oder der Angewohnheit, Erfolge auf sich zu beziehen, statt ihn anderen oder Gott zu widmen. Negative Emotionen können verbal in der Form des Lügens ausgedrückt werden, durch Tratschen, Sich-Rühmen, durch übertriebene Selbstdarstellung, durch Fehlersuchen bei anderen, durch Reden über due Unzulänglichkeiten anderer. Und sie können körperlich Gestalt annehmen, z.B. durch das Töten oder Verletzen anderer bzw. die Veranlassung der Verletzung oder Tötung anderer (z. B. wenn wir Fleisch, Fisch, Milch oder Eier essen, oder Leder, Pelz, Wolle oder Seide tragen), durch Stehlen, sexuellen Missbrauch, Gier usw.
Wenn wir Erleuchtung derart realisieren wollen, dass wir wirklich anderen dienen und dauerhaft Frieden und Glück erfahren können, müssen wir uns von der Wertschätzung des Selbst und den negativen Emotionen, von denen es sich ernährt, befreien. Zwei Praktiken sind sehr effektiv für diese Aufgabe: japa/Meditation und maitri/karuna. Diese Praktiken schieben den Fokus weg von unserem kleinen Selbst oder Ego, und in Richtung der anderen, unserem höheren Selbst und Gott.
Japa ist die Wiederholung eines Mantras. Wenn Mantras wie let-go oder lokah samastah sukhino bhavantu mit Ernsthaftigkeit täglich über einen längeren Zeitraum geübt werden, wird auf einer subtilen Schwingungsebene eine Reinigung und Umlagerung von Zellen und Gewebe unseres physischen, energetischen, emotionalen und mentalen Körper passieren. Mantras, die aus dem Namen Gottes bestehen oder zusammengesetzt sind, wie Shri Krishna Sharanam Mama oder viele der Kirtan-Mantras, haben die Macht, einen göttlichen Körper in Gestalt der Gottheit, deren Namen wir wiederholen, zu kreieren. Im Laufe der Zeit beginnen wir, uns mit dem göttlichen Körper zu identifizieren und von unserer Identifikation mit dem Ego loszulassen, das die Quelle von negativen Emotionen ist.
Meditiere jeden Tag solange wie du kannst, und singe dein Mantra immer und immer still für dich. Und im Laufe des Tages singe das Mantra immer, wenn du daran denkst, aber vor allem auch dann, wenn du merkst, dass du an einem negativen Gedanken oder einem Gefühl festhältst, oder wenn du beginnst zu tratschen oder unfreundliche Worte zu sprechen, oder wenn du Fehler bei anderen suchst, oder wenn deine Sprache sarkastisch oder zynisch wird. Auf diese Weise wirst du dich selbst trainieren, die gewohnten Reaktionen durch eine höhere Absicht oder ein höheres Streben zu ersetzen.
Maitri bedeutet “Freundlichkeit” und karuna bedeutet “Mitgefühl”. Patanjali gibt uns diese im Yoga Sutra (Vers 1,33) als Handlungsmethoden, um die natürlichen Gelassenheit des Geistes zu behalten. Im Wesentlichen liegt die Praxis darin, andere an erste Stelle zu setzen und zu vermeiden, zuerst zu überlegen, was für uns gut ist, sondern stattdessen unser Leben in den Dienst anderer zu stellen. Das ist ein Fremdwort für die meisten von uns. Wir sind in der Regel dazu erzogen, auf unsere eigenen Bedürfnisse zuerst Rücksicht zu nehmen und für unsere „Rechte“ einzustehen. Aber ein solcher Ansatz verstärkt nur das Gefühl der Trennung, welches die Quelle von negativen Emotionen und Leid ist. Frag dich selbst: Ist es mir wichtiger, recht zu haben, oder möchte ich nicht lieber frei sein?
Das kleine Selbst, oder das Ego, kann recht haben, aber es kann niemals frei sein, weil es die Natur des Egos ist, sich von anderen und sogar vom Göttlichen getrennt zu halten. Das höhere, göttliche Selbst ist nicht durch Begriffe von Recht und Unrecht gebunden, sondern völlig frei. Um deine Identität wegzuverlagern von deinem Ego hin zum Göttlichen, musst du dich selbst dazu bringen, negative Emotionen zu überwinden. Lass los von Groll, wenn andere Erfolg erfahren, und von Zufriedenheit, wenn andere versagen, und von Selbstgerechtigkeit, wenn sich andere schlecht benehmen. Stattdessen versuche zu erkennen, dass Freude und Mitgefühl für andere, auch wenn sie sich nicht gerechtfertigt anfühlen, endgültig zu dauerhaftem Glück für dich selbst führen. Kultiviere Güte für die anderen, egal, wer sie sind, und widme dein Leben dem Ziel, diese anderen glücklich zu machen. Japa, Asanas und Pranayama-Praxis kann dabei helfen, durch die Reinigung des Körpers auf allen Ebenen Platz zu schaffen für die Verwirklichung der Einheit des Seins.
Es gibt keine Negativität im erleuchteten Zustand. Aber um dorthin zu gelangen, müssen wir uns unserer Negativität in all ihren Formen bewusst werden. Dann können wir sie loslassen, nämlich durch die Praktiken von japa und maitri/karuna und andere yogische Praktiken. Mögen wir alle von der Knechtschaft unseres kleinen Selbst befreit werden und für immer in der Anwesenheit des Göttlichen verweilen.
– Sharon Gannon
Deutsche Übersetzung © Jivamukti Berlin GmbH; englische Originalfassung unter https://jivamuktiyoga.com/teachings/focus-of-the-month
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team