„samniyama-indriya-gramam / sarvatra sama-buddhayah te prapnuvanti mam eva / sarva-bhuta-hite ratah.
Diejenigen, die ihre Sinne kontrollieren können, den Gleichmut des Geistes bewahren und sich daran erfreuen können, zum Wohlergehen aller Lebewesen einen Beitrag zu leisten, sind mir lieb“.
Bhagavad Gita XII.4
Manchmal verfallen wir alle in Negativität und Verzweiflung, insbesondere wenn die Nachrichten voll sind mit Tragödien wie Schießereien an Schulen und sinnlosen Kriegen, harscher politischer Redegewalt, gierigem Verhalten von Banken und Grausamkeiten, die wir Menschen uns selbst, anderen Tieren, den Ozeanen, Wäldern und der Erde zufügen und die uns immer dichter und dichter an einen ökologischen, körperlichen und psychologischen Zusammenbruch heranbringen. Aus einer bestimmten Perspektive sieht es aus, als würden die Dinge immer schlimmer werden. Aber ist dies die einzige Sichtweise und wenn ja, haben wir dann die Macht, diese zu verändern?
Wir können einen Blick auf die Unterhaltungskultur werfen, um ein Bild davon zu bekommen, was in unserer Psyche vor sich geht – welche Ängste und Sehnsüchte unter der Oberfläche unseres Bewusstseins liegen. Wenn man zum Beispiel Literatur aus dem 18. und 19. Jahrhundert liest, wird man auf sehr viel Klassenkampf und Unerfülltsein auf der Gefühlsebene stoßen. Die Charaktere sind meistens frustriert und fühlen sich als Opfer der Gesellschaft. Aber sehr selten, wenn überhaupt, werden die wahren Sklaven und Opfer des Systems erwähnt: die Pferde, die vor Wagen gespannt werden, um Menschen zu dieser oder jener Feier zu bringen. Oder die Kühe, die in finsteren Seitengässchen zwischen Mietshäusern angebunden werden um blutarme, bläulich gefärbte Milch zu produzieren. Weitere Tiere werden nur am Rande erwähnt, unbedeutend im Vergleich zu den wichtigen Geschichten, die sich unter den Menschen abspielen.
Als ich in den 50er Jahren aufwuchs, waren Kriegs-, Science Fiction- / Monster- / und Alien- Filme sehr beliebt. Im Film The Incredible Shrinking Man wurde der Held der Geschichte zu einer Größe von 1,5 cm geschrumpft und musste eine „Riesenspinne“ mit einer Nähnadel bekämpfen. Viele, wenn nicht die meisten Filme dieser Zeit offenbaren ein tiefes Misstrauen gegenüber der Natur und ein Gefühl menschlicher Schwäche und Verwundbarkeit gegenüber der Natur und anderen Tieren. Die Protagonisten zerstören und erobern mehr als sie kommunizieren und kooperieren. Es war „wir gegen sie“.
Neuere Filme wie The Matrix, welche Fragen über die Beschaffenheit der Realität aufwerfen, oder Romane wie Cloud Atlas, welche Konzepte wie Karma und Reinkarnation ergründen, führen Charaktere ein, die die Fähigkeiten besitzen mit der Realität, die sie vorfinden, zu arbeiten, indem sie sie nutzen, um Probleme zu lösen oder ihre Situation zu verbessern. Es ist unvorstellbar, dass derartige Werke in den 50er Jahren auf Verständnis und Akzeptanz gestoßen wären; dies hätte außerhalb der Wahrnehmung gelegen. In dieser Hinsicht würde ich sagen, machen wir große Fortschritte. Die Botschaft ist weniger „wir gegen sie“, sondern spiegelt eher shunyata (Leere) wider – was so viel bedeutet wie, dass der Ursprung der Probleme beim Individuum statt bei gesichtslosen anderen gesucht wird und Unternehmen und Regierungen demnach als das dargestellt werden, was sie sind – vergrößerte Erscheinungen von Gier und Langeweile, welche von uns selbst kommen. Aus dieser Perspektive scheint es also einen kulturellen Fortschritt zu geben. Und trotzdem sind viele von uns immer noch unzufrieden. Wie können wir unser zunehmend fortgeschrittenes Verständnis der Welt mit unseren Geist- und Gefühlskörpern in Einklang bringen? Die Antwort ist: Durch Freundlichkeit!
Wenn ich über Tierrechte spreche, fragen mich Leute oft „Warum kümmert Ihr Euch so sehr um den Missbrauch an Tieren, wenn es doch so viel Missbrauch an Menschen in dieser Welt gibt?“ Ich setze mich für Tierrechte ein, weil wir alle Tiere sind, und ich habe mich entschieden, nicht in diesem abträglichen System eingesperrt zu sein, welches proklamiert, dass das eine Tier wertvoller ist als das andere.
Menschen sind auch Tiere – das ist eine biologische Tatsache – und der systematische und unbestrittene Missbrauch von nicht-menschlichen Tieren erschafft eine kulturelle Umgebung, in der Missbrauch akzeptiert wird, was wiederrum menschlichen Missbrauch zur Folge hat. Wenn wir ein Problem lösen möchten, ist es am besten, nach dem Ursprung des Problems zu suchen und dort etwas zu verändern; ansonsten werden unsere Bemühungen oberflächlich bleiben und das Problem wird unvermeidbar wiederkehren. Wie mein heiliger Lehrer Swami Nirmalananda sagt: „Dieses Herauspicken und Auserwählen, wer zu lieben ist, fördert die Abspaltung und Vorurteile und bringt uns dazu, uns getrennt von allem Lebenden zu erfahren. Wir sollten kosmopolitischer sein und uns selbst als Angehöriger des Kosmos fühlen – ein Freund von allen.“ Freundlichkeit kann uns in diese Richtung bringen.
Wir alle wollen erfolgreich sein. Yoga lehrt uns, dass Erfolg zu denen kommt, die freundlich und liebevoll zu anderen sind. Damit Yoga eintreten kann – was für uns bedeutet, Freiheit zu erlangen von diesem Verlangen nach Konsum materieller Produkte und dem Bedürfnis. die Erde und andere Tiere auszubeuten, um Freude zu erleben, sondern nichts zu benötigen und sich vollkommen zu fühlen, so wie Shri Brahmananda Sarasvati den Zustand des Yoga beschrieb – müssen wir Freundlichkeit leben. Wir können nicht verklemmt und knausrig bleiben und nur gütig zu denjenigen sein, die wir mögen, die uns ähnlich sind oder die uns etwas zurückgeben werden. Wenn wir anfangen, die Grenzen unserer Freundlichkeit abzubauen, fangen wir an, das Potenzial der grenzenlosen Wesen, die wir wirklich sind, zu verstehen. Das ist das eigentliche große Abenteuer: die ich-bezogenen Ketten, die unsere Herzen abklemmen, zu durchbrechen und anzufangen, das andere als nur unser eigenes Selbst zu sehen. Diese Gelassenheit des Geistes wird zur Erkenntnis Gottes führen.
—Sharon Gannon
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team