ksana-pratiyogi parinamaparanta nirgrahyah kramah
Eine Abfolge von Veränderungen (die ununterbrochene Aneinanderreihung von Momenten) können wir nur dann als abgegrenzte Momente/Erfahrungen erleben, wenn wir diese einzelnen Momente bereits überwunden/transzendiert haben und uns am anderen Ende befinden.
Yoga Sutras IV.33
Wir regeln und bewerten unser Leben nach der Zeit. Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre und Dekaden sind alles Zeitmaße. Zeit – die Du am Sekundenzeiger vorbeirauschen und im Vorüberziehen der Sonne am Himmel siehst. Aber wie genau sind die Zeitmaße, nach denen wir unseren Erfolg oder unseren Fehlschlag im Leben, die Dauer unserer Yogapraxis und die erhaltenen Gehaltsabrechnungen beurteilen? Existieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft tatsächlich, und kannst Du diese besuchen?
Die seit Urzeiten gestellte Frage nach dem Ursprung der Zeit schwebt irgendwo zwischen Physik und Philosophie. Zeit ist eine sehr mysteriöse Sache. Die besten wissenschaftlichen Köpfe stimmen den Qualitäten oder dem Ursprung der Zeit nicht zu. Es gibt grundsätzlich zwei moderne Theorien zur Frage, wie Zeit arbeitet:
Theorie A – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren und Zeit vergeht
Theorie B – keine Zeit ist objektiv Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft; der Verlauf der Zeit ist Illusion
Jede der Theorien könnte für sich wahr sein, oder beide. Wir sammeln Erinnerungen der Vergangenheit, aber wir haben keine Erinnerung an die Zukunft; Zeit scheint von der Vergangenheit in die Zukunft zu reisen. Zeit zieht manchmal langsam und dann wieder schneller vorbei … oder zumindest scheint es so. Zum Beispiel: Erhöht sich Deine Körpertemperatur, kann dies Deinen Zeitsinn um 20% verlangsamen. Deshalb scheint eine Yogaklasse soviel zu beinhalten – in so kurzer Zeit. Zeit verläuft in der Höhe auch schneller; so gehen Uhren schneller, wenn diese um nur 30 cm angehoben werden. Menschen, die im obersten Stockwerk wohnen, altern schneller als im Erdgeschoss. Zeit vergeht am Meeresspiegel langsamer als in den Bergen. (Zeit vergeht langsam in Shavasana). Dein Kopf altert schneller als Deine Füße – auch wenn Du Dich täglich auf den Kopf stellst!
Könnten wir durch die Zeit reisen? Das Großvater-Paradoxon besagt, dass wenn Du in der Zeit in eine Periode zurück gingest, bevor Deine Eltern gezeugt wurden, und tötetest Deinen Großvater bevor er eine Chance hätte, Vater Deiner Eltern zu sein, würdest Du niemals geboren werden – was bedeutet, Du könntest niemals existiert haben, um in der Zeit zurück zu gehen und Deinen Großvater zu töten, was bedeutet, die rückwärtsgerichtete Zeitreise wird den Zukunftsverlauf der Sache stören, die zurückgereist ist, und dass die immanente Unmöglichkeit desgleichen rückwärtsgewandte Zeitreise unmöglich macht. Dieses Paradoxon ergibt von einem physikalischen Blickpunkt aus einen Sinn, aber vielleicht nimmt die Zeitreise in anderen Dimensionen Platz, vielleicht im Bereich des Überbewusstseins selbst.
Die Yoga-Methode der überwindenden/transzendierenden Zeit ist tief in sie einzutauchen. Im Hinduismus wird Gott als Zeit personifiziert – Kala, und Zeit bewegt sich in Unaufhaltsamkeit (Unablässigkeit), und blutige Zyklen wiederholen dies. Im Yoga Sutra repräsentiert ksana die kleinste Stufe abgelaufener Zeit – ein Moment. Ein ksana ist so klein, dass es tatsächlich keine Laufzeit hat. Ksana ist Zeit ohne Zeit. Es ist soviel wie der Punkt in der Geometrie. Auf dieselbe Art wie ein Punkt keine dimensionale Existenz von Höhe, Länge oder Weite hat – hat das ksana keine Laufzeit. Der wiederkehrende Punkt kreiert die erste Dimension von Länge. Das wiederkehrende ksana kreiert den Zeitpfeil, der sich scheinbar von der Vergangenheit in die Zukunft bewegt, dem kramah. Das Ärgernis ist (bezogen auf das Sutra), dass wir den Einfluss unserer Handlungen nicht realisieren, bis es zu spät ist etwas zu tun, um unsere Handlungen zu verändern. Hinterher ist man klüger!
Der Grund dafür, dass wir unsere aktuellen Handlungen anscheinend nicht mit Handlungen der Vergangenheit und zukünftigen Ergebnissen verbinden können, ist, dass wir unbewusst handeln. Wenn Bewusstsein erlischt, geht die Beständigkeit der Handlungen verloren. Der gegenwärtige Moment scheint zusammenhanglose Herausforderungen und neuartige Erfindungen des Schicksals zu haben. „Wie bin ich hierher gekommen?“, „Warum passiert mir das?“ Die Welt scheint aufgrund keines unserer eigenen Verschulden auf uns zu zu kommen. Yogapraktiken bringen zum Vorschein, welche Folgen Deine Handlungen in dem von Dir erfahrenden Leben haben und Deine Projektionen zeigen sich – wie die Welt vor Dir.
Zu blöd, dass wir den Schleier der Zeit nicht durchbrechen und unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jetzt beerben können!
Aber Du kannst es … und Du wirst ein Stadium erreichen, durch Yogapraktiken; wenn es keine Bewusstseinsverluste mehr gibt – wir nennen es Überbewusstsein. Du wirst die Zeit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als fortwährend und verbunden erfahren. Du kannst Dich selbst von der zeitgebundenen Existenz befreien.
Januar 2015 – David Life
Der Originaltext findet sich unter https://jivamuktiyoga.com/teachings/focus-of-the-month/p/time-was-and-will-be