Auf meinem Altar liegt eine einfache Eichel. Sie ist klein, passt in meine Hand und erinnert mich jeden Tag an das englische Sprichwort „Great oaks from little acorns grow“, was im Deutschen wörtlich mit „Aus Eicheln wachsen mächtige Eichen“ übersetzt werden kann bzw. bedeutet, dass bereits kleine Ursachen eine große Wirkung erzeugen können. Diese Eichel trägt das Potenzial in sich, der erste Baum in einem Eichenwald zu werden. Hierzu muss sie lediglich in die Erde gepflanzt werden und Zeit haben, zu sprießen, zu wachsen, zu gedeihen und sich voll zu entfalten, um ihr wahres Potential zu verwirklichen. Eicheln gelten als Symbol des Friedens und stehen dafür, dass Wohlstand und spirituelles Wachstum aus ein, zwei kleinen Samenkörnern entstehen können.
Im Jahr 1969 riefen John Lennon und Yoko Ono eine Friedensbewegung ins Leben und schickten je zwei Eicheln an Staatsoberhäupter. Der Aufruf lautete, Eichen des Friedens zu pflanzen und, wie John Lennon es formulierte, „Give peace a chance“ bzw. „gebt Frieden eine Chance“. In einem späteren Interview erklärte er (frei übersetzt): „Wir erhielten Reaktionen zu unserer Bewegung. Mehrere Staatsoberhäupter pflanzten die Eicheln tatsächlich und viele schrieben uns zu unserer Aktion. Wir schickten die Eicheln praktisch überall in die Welt.“ Als Friedensaktivist:innen nutzten Lennon und Ono ihre Bewegung, um einen Dialog anzustoßen, der das Establishment, die Regierung und den Status Quo jener Zeit herausfordern sollte. Lennon war darüber hinaus der Meinung, die Hippie-Bewegung sei gescheitert und dass daher ein neuer Versuch mit einer neuen Bewegung notwendig sei.
Das Wort „Frieden“ bedeutet Freiheit von Störung, die Abwesenheit von Gewalt sowie ein kriegsfreier Zustand oder Zeitraum, in dem der Krieg zu Ende ist. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie Menschen immerzu Kriege gegen die Unterdrückten, von ihnen als schwächer Eingestuften und jene geführt haben, die keine Stimme hatten, um für sich selbst einzutreten. Diese Verhaltensweisen rühren aus einer tief verwurzelten Störung unseres eigenen Selbst, genauer gesagt dem Zustand avidyā, einem der fünf Kleshas im Yoga. Hierbei handelt es sich um die Ignoranz darüber, dass wir das, was wir Anderen antun, letzten Endes uns selbst antun. Dies ist ein unwissender statt friedlicher Zustand. Um frei von Störungen zu sein, sollten wir den Ursachen dessen auf den Grund gehen, was diese Störungen in uns auslöst. Das ist die Botschaft des Yoga: tief eintauchen, unter die Oberfläche blicken und erkennen, was in unserem Herzen, unserem Körper und unserem Geist Unruhe stiftet. Es geht darum, den Blick nach innen zu richten und in unserem Geist einen Zustand von Gleichmut zu entwickeln, der Frieden verkörpert; darum, einen Zustand der Gelassenheit zu erreichen und aus diesem Zustand heraus in uns und in unserer Umgebung die Saat des Friedens zu säen. Dieser Frieden ist deine eigene wahre Natur, die freudvoll, friedlich und zufrieden ist.
Trotz allen Kriegstreibens hat es auch immer wieder Friedensbewegungen einschließlich Antikriegsbewegungen und Personen gegeben, die eine Bewegung gründeten. Der Begriff „Bewegung“ impliziert einen Positionswechsel und bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen mit bestimmten Ideen, die die Meinungen und Lebensweise von Personen zu ändern vermögen. Wie Gandhi, Martin Luther King und Greta Thunberg gezeigt haben, genügt schon eine Person, um eine ganze Generation zu inspirieren. Ein Mensch kann durch friedliche Proteste und Aktionen politisch und gesellschaftlich einen Wandel bewirken. Die Black Lives Matter-Bewegung, Klimaaktivist:innen und Tierschützer:innen nutzen bis heute die Mittel von Bewegungen, um in der Gesellschaft Positives zu bewirken. Gewalt gegenüber bestimmten Menschengruppen ist das Gegenteil von Frieden. Das Symbol der Eichel wurde in jüngster Zeit durch den Kniefall ersetzt.
Swami Nirmalananda, der Guru unserer Lehrer:innen, richtete zu Lebzeiten zahllose Briefe an die Staatsoberhäupter dieser Welt und forderte eine friedliche Lebensweise. Er lehrte, dass Meditation ein Weg zurück zu uns selbst sei. Dabei sitzen wir still an einem Ort und setzen uns mit unserem Geist auseinander. Im Kern dieser Selbsterforschung offenbart sich uns schließlich unser wahres Selbst. In „A Garland of Forest Flowers“ schreibt er, dass jede:r von uns frei sein sollte, sein:ihr Schicksal in Frieden, Glück und ohne das Verletzen der Interessen Anderer selbst zu leben. Er erklärt, wie am Ende jeder täglichen Meditation der Rishis alle gemeinsam „Mögen alle Welten glücklich und in Wohlstand leben.“ beteten. Die Essenz dieser Botschaft sei, das Selbst zu verwirklichen und mit gleicher Vision und gleichmütigem Geist zu leben.
Es wird angenommen, dass das Friedens Mantra sarveṣāṁ svastir bhavatu zwar aus der Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad stammt, seine Originalform jedoch älter ist. Die Wald-Rishis/-Yogis jener Zeit erteilten Suchenden, die sich für ein tieferes Verständnis des Selbst interessierten, ihre Lehren, indem sie die universelle Gegenwart des Einen im Vielen anerkannten. Indem wir allen Wesen Glück, Frieden, Fülle und Wohlstand wünschen, entsteht ein Zustand, in dem das Andere verschwindet und Yoga oder Verbindung ein Zustand der Freiheit wird.
Auch ahimsā, der Zustand des Nicht-Verletzens/der Gewaltlosigkeit, ist eine Haltung, die Frieden fördert. Patanjali nennt in seinem achtgliedrigen Pfad im Yoga Sutra die Yamas als erste Stufe und darin ahimsā als erstes Yama. Er erklärt in Kapitel 2, Vers 35 (ahimsā-pratiṣṭhāyāṁ tat-sannidhau vaira-tyāgaḥ), dass kein Wesen uns Schaden zufügen kann, wenn wir selbst keinem anderen Wesen Schaden zufügen. Die klare Botschaft an alle, die sich für Yoga interessieren, ist: Indem wir uns selbst und Anderen mit Respekt, Würde und Liebe begegnen, sind wir auf dem Weg zur Erleuchtung und zum Glück.
Wir sind Teil einer Yoga-Bewegung, einer Abstammungslinie von Lehrer:innen und den Lehrer:innen vor ihnen und dies spornt uns an, Frieden für alle Lebewesen anzustreben. Dies ermutigt uns, Verbindung zu schaffen und die Friedensbewegungen der Vergangenheit mit denen der Gegenwart zu verknüpfen, die Saat des Friedens in unseren Herzen zu säen und unsere Handlungen dem Frieden und der Freiheit aller zu widmen. Auf meinem Altar liegt eine einfache Eichel. Sie ist klein und erinnert mich täglich daran, was aus einer aufrichtigen Absicht erwachsen kann.