Auf Deutsch: Leben ist Kosmos, nicht Chaos.

by Petros Haffenrichter |
November, 2021
निर्माणचित्तान्यस्मितामात्रात्
nirmāṇa-cittānyasmitā-mātrāt (PYS IV.4)

क्षणप्रतियोगी परिणामापरान्तनिर्ग्राह्यः क्रमः
kṣaṇa-pratiyogī pariṇāmāparānta-nirgrāhyaḥ kramaḥ (PYS IV.33)

The individual consciousness comes from Cosmic Consciousness, or the self arises from the Self. (PYS IV.4)

The succession of changes (the uninterrupted sequence of moments) is only recognized as
distinct moments when one has transcended those moments and is at the other end. (PYS IV.33)

 

Wir sind mit dem Satz vertraut, dass man die Veränderung sein sollte, die man in der Welt sehen möchte. In Wirklichkeit ist das die einzige Veränderung, die es gibt, denn was wir sehen, sind wir selbst.

Veränderung ist stetig und konstant. Die Frage oder Praxis besteht darin, Muster, den Zeitpunkt und die Verantwortung zu verstehen. Wir bewegen uns immer zwischen Ursache und Wirkung und sind sowohl Empfänger:innen als auch Erzeuger:innen von allem, was im Leben sinnvoll ist.

Wenn wir äußere Kriterien anwenden, um ein gewünschtes Ergebnis anzustreben, beeinflussen wir vielleicht nur äußere Verzierungen. Die Wurzeln sind jedoch immer esoterisch und das ist es, woher die Veränderung kommen und wohin sie letztendlich zurückkehren sollte.

Der:Die Yogi:ni führt spezifische Praktiken aus, um auf die Umwandlung von weltlichen Tendenzen zu spirituellen Erfahrungen hinzuarbeiten (von tejas zu ojas). Meister Patanjali lehrt, wie wichtig die richtige Abfolge für diese Veränderung ist und gibt zahlreiche Beispiele für solche Sequenzen: die Ashtanga Yoga-Sequenz, die Yamas, die Niyamas und Kriya Yoga. Die Reihenfolge der Erleuchtung ist kein Zufall und wenn wir die Abfolge ändern, verändert sich das Ergebnis entsprechend.

Sutra III.15 कर्मान्यत्वं पěरणामान्यत्वेहेतुः ॥१५ ॥ kramānyatvaṁ pariṇāmānyateve hetuḥ
Die Variation in der Transformation wird durch die Vielfalt der zugrunde liegenden Prozesse verursacht.

Auf der Suche nach der Erfahrung der Einheit kann eine allgemeine Regel angewendet werden: Wenn Veränderungen von sich heraus geschehen, respektieren wir die dharmische oder natürliche Ordnung. Wenn eine Veränderung durch äußere Faktoren oder Regeln erzwungen wird, ist sie in der Regel durch die Identifizierung mit diesen äußeren Faktoren bedingt und verursacht in der Folge mehr Leiden.

Aber was ist diese natürliche, göttliche oder dharmische Ordnung?

In den Veden heißt es, dass das Eine (Brahman) aus dem Wunsch heraus, sich selbst zu erfahren, zu vielen wurde. Gleichermaßen erklärt Platon, dass der Mensch ein „Zoon politikon“ ist – eine Lebensform, die aus einer Vielfalt von Individuen besteht.

Jeder Teil der Erfahrung, die wir unser Leben nennen, ist auf ewig an das Gesetz von Ursache und Wirkung gebunden. Dieses Gesetz besagt, dass nichts für sich allein steht; alles ist miteinander verbunden, alles hat einen variablen Grund und ein variables Ziel. Auf der Ebene der reinen Logik wissen wir nicht wirklich, woher wir kommen und wohin wir gehen werden. Wir können ein Gefühl dafür entwickeln oder eine intuitive Verbindung mit einem Plan spüren, der größer als unsere persönlichen Ziele ist – doch letztendlich können wir nicht vorsehen, wie sich die Zukunft auf alle möglichen Arten entfalten wird. Die Berechnung aller möglichen Ergebnisse birgt zu viele Variablen, die alle in unendlicher Wechselwirkung zueinander stehen. Nichts ist völlig sicher und alles ist dem Wandel unterworfen. Dennoch können wir uns auf die Reise einlassen und sie genießen, solange wir uns von der Vorstellung befreien, dass wir der:die Kapitän:in eines Schiffes sein müssen, der:die das gelobte Land schon kennt.

Leider können wir nicht auf eine eindimensionale, „gute“ Zukunft hinarbeiten, da sich die Realität stets verändert. In der griechischen Philosophie ist in diesem Zusammenhang von „panta rhei“ die Rede. Instabilität liegt in der Natur von allem und das Gleichgewicht ist ein zerbrechlicher, unbeständiger Zustand. Was wir tun können, ist mehr über Absicht, Verhältnismäßigkeit, Beziehung und Abfolgen zu lernen. Das kann uns zumindest das Gefühl vermitteln, was Klishta/Aklishta (unterstützend/entgegenwirkend) für Yoga ist oder nicht.

Die Sinneserfahrung des Lebens lehrt uns auf natürliche Weise etwas über Entscheidungen. So gibt es beispielsweise nichts Zufälliges an der Abfolge, Empathie zu lernen. Wir sind Teil eines erstaunlichen, vollständigen und intelligenten Systems des Lebens. Alles, was wir Körper oder Geist nennen, ist Ausdruck dieser Intelligenz. Die zweifache Krümmung der Wirbelsäule ist ebendiese Manifestation von „neti neti“ (nicht dies, nicht das) bzw. der vedischen philosophischen Schlussfolgerung. Jeder Wirbel ist Teil eines größeren Ganzen, einer prototypischen Kette von Verbindungen zwischen scheinbar individuellen Einheiten. Der Atem ist ein weiteres Beispiel für diese Integrität, denn es gibt kein Einatmen ohne Ausatmen und auch für den Geist gilt: Es gibt keinen Gedanken ohne seine Wurzel. Alles ist miteinander verbunden, alles ist in göttlicher Ordnung und wir sind die Verkörperung dieser Ordnung.

Diese Ordnung ist die Basis für alles, einschließlich unserer Gedanken, Gefühle, Ziele und Bestrebungen. Manchmal sind wir in einer persönlichen, politischen, gesellschaftlichen, religiösen oder anderen Interpretation dieser Reihenfolge gefangen. Diese Pläne, die auf raga (Wunsch) und dvesha (Abneigung) basieren, müssen Patanjali zufolge unweigerlich Leiden verursachen. In der Regel stecken wir in einer kurzsichtigen oder voreingenommenen Perspektive darüber fest, wie weit wir (zeitlich und räumlich) die Realität verstehen wollen.

Die Mythologie bietet uns wunderbare Beispiele über den Ursprung, die Entwicklung, die Beständigkeit, das Verständnis von Abfolgen und die Versuchungen, durch „avidya“ (Illusion) in die Irre geführt zu werden. Odysseus, der große Held Homers, ist eine Analogie für die geistigen Irrwege und Verstrickungen dieser Art. Odysseus steckt – wie Arjuna in der Bhagavad Gita – in einer bestimmten Denkweise oder einem bestimmten Glauben fest, der ihn an die Illusion bindet. Die Geschichte von Odysseus ist eine Geschichte der Anhaftung und Bindung an das Karma und eine Reise zur Einheit und Befreiung. Er ist das Opfer seiner eigenen emotionalen Anhaftung und Verblendung: Die Nymphe Kalypso verführt ihn mit lustvollen Freuden, ewiger Jugend und Unsterblichkeit und er ist 7 Jahre nicht in der Lage, aus dieser Illusion auszubrechen. In diesem „Maya“ gefangen kann er seinen Weg nicht bewusst fortsetzen, der ihn zur Vereinigung (mit seiner Ehefrau Penelope) führen würde, die als Endziel, als Vereinigung der Polaritäten, zu verstehen ist. Manchmal sind wir an bestimmte Energien gebunden, die uns in einer Stimmung oder einem Topos festhalten. Diese erlauben es uns nicht, uns unserer wahren Position in der gesamten Existenz bewusst zu werden, was zu einem Ungleichgewicht in unserem physischen, geistigen und pranischen Körper führt.

Karma wird häufig als etwas verstanden, das bereits geschehen ist und wir surfen hauptsächlich auf dieser Welle… doch Karma bedeutet einfach Handlung und ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Wir sind nicht nur die Wirkung von etwas Vorangegangenem. Wir sind sehr wohl in der Lage, jeden Weg zu lenken oder umzuleiten, wenn wir uns bewusst dafür entscheiden. Diese Wahl sollte von Klarheit über das Motiv und die Eigenschaft der Dualität gelenkt sein: Es gibt keine Aktion, die frei von Reaktion ist, und oft ist die Reaktion der Grund für die Aktion. Die Wurzeln des Baumes wachsen nicht aus Spaß in die Erde – nun gut, vielleicht ist eine Prise Spaß dabei – sondern aufgrund des innewohnenden, natürlichen Motivs, dass sich das Leben in alle Richtungen entfalten soll. Unsere Praxis sollte zu dieser Erfahrung beitragen und uns von allen voreingenommenen Motiven befreien, die unsere Handlungen färben. In der Regel sind diese Motive persönlich oder kulturell bedingt.

Sich verbunden zu fühlen bedeutet, um diese heilige Ausrichtung zu wissen, in der alles seinen richtigen Platz, seine Zeit und seine Notwendigkeit innerhalb der Schöpfung hat. Alles kommt, um zu gehen und geht, um zu kommen. Nichts ist eindimensional und ebenso kann man keine Sicherheit haben, ohne die Freiheit zu gefährden und umgekehrt. Ein Bewusstsein darüber, mit wem wir uns verbunden fühlen, ist sehr hilfreich, denn wir brauchen auf dieser Suche gute Freunde. Satsang ist eine der einfachsten Möglichkeiten, ein integriertes Bewusstsein unseres gemeinsamen Bewusstseins zu schaffen.

Der:Die Yogi:ni strebt nach Einheit und Befreiung. Vielleicht ist das nicht das endgültige Ziel oder telos, sondern vielmehr eine zarte, ewige Phase des Gleichgewichts, das die ursprüngliche dynamische Ausgabe der Existenz ist. Wenn wir praktizieren, überwinden wir schließlich, aber unweigerlich, das Feststecken in einer Art zu fühlen, zu wissen oder zu verarbeiten, unsere Insel der Identität, so dass wir an dem gegebenen Gleichgewicht teilhaben können. In diesem Gleichgewicht sind unsere Vergangenheit und unsere Zukunft immer im Wandel. Wenn wir dies wissen, überwinden wir die Fesseln der Zeit und der persönlichen Identifizierung innerhalb dieser universellen Abfolge.

Wir befinden uns inmitten einer großen kosmischen Abfolge, die uns unter allen Umständen lehrt und leitet. Wir können lernen, den großen Bewegungen des Kosmos zu vertrauen und von der individuellen Manipulation der äußeren Welt zum persönlichen Vorteil Abstand zu nehmen, indem wir uns unserer Verbundenheit mit allem bewusst werden.

Teaching Tips

  1. In der gesamten Mythologie finden wir Lehren über die Weisheit, die auf unserem Lebensweg zunimmt. Erkunde die großen Geschichten der Menschheit, wie das Gilgamesch-Epos, das Mahabharata, das Ramayana, die Odyssee, die Puranas, die Geschichten der Ägypter, der Mayas, der Griechen und Ähnliches. Diese Geschichten lehren uns immer etwas über Ursache und Wirkung jenseits einer einzelnen Person oder eines einzelnen Ereignisses und sind die Grundlage unserer menschlichen Identität.
  2. Lerne, übe und lehre die Tonleitern und andere Reihen von Sequenzen wie mathematische Sequenzen (Fibonacci, platonische Körper), Farbreihen und Alphabete.
  3. Übe und lehre die indische Tonleiter: SaReGaMaPaDhaNiSa, zu finden im Jivamukti Chantbook Harmonium Kurs https://digital.jivamuktiyoga.com/products/the-jivamukti-chant-book-full-harmonium-course
  4. Praktiziere und lehre den Sonnengruß als Einführung in die Magie der Abfolge, während der:die Übende durch die Chakras geführt wird. Tadasana – Muladhara, Uttanasana – Svadhisthana, Chatturanga – Manipura, Urdhva Mukha Svanasana – Anahata, Adho Mukha (mit Jalandhara) – Vishuddha.
  5. Praktiziere und lehre Bandha als Ursache und Wirkung für die Umlenkung von Energien und trage auf diese Weise zur Erfahrung der Ausrichtung auf den Kosmos bei. Mula Bandha kehrt den Fluss von Apana um, Uddiyana Bandha verstärkt die Richtung von Prana mit Sama und Apana Vayu, Jalandhara Bandha lenkt das Udana und begrenzt störende Energien.
  6. Übe und lehre Bija Mantra als Sequenz vom niedrigsten zum höchsten Chakra mit Klang und Visualisierung an den entsprechenden physischen Orten der Chakras (Farben, Lotusblüten) als sitzende Mantrika-Pranayama-Praxis (1:1).
  7. Übe und lehre die “Chakra Tuning Class” mit Bezug auf Ordnung und Betonung auf die Übung des energetischen Ausgleichs aller Energien – mit dem Ziel, dass wir uns bewusst werden, an welcher Stelle wir feststecken und wie wir diese Hürden auf neutrale Weise überwinden können (damit es uns auch mit den Karmas gut geht ).
  8. Lerne und lehre die einfachen Formen, die sich aus dem Muster der Blume des Lebens ableiten: www.cliffbarber.com
  9. Gestalte eine Klasse mit einem Thema oder einer Geschichte, die die Schüler:innen auf eine Reise mitnimmt. Jede Asana oder Sequenz ist ein Ort oder ein Ereignis. Verwende das Mahabharata oder die Bhagavad Gita als Vorlage.
  10. Erstelle eine Playlist, die eine bestimmte Stimmung erzeugt und zu einer bestimmten Erfahrung oder Absicht führt. Jeder Song oder Klang ist Teil eines größeren Arrangements. Nimm zum Beispiel das Thema „Wasser“ (oder ein anderes Element) und finde Titel rund um dieses Thema. Verwende keine beliebige Musik.
  11. Lade Freund:innen und Schüler:innen ein und veranstalte so oft wie möglich Satsang als echte Yogapraxis.
  12. Studiere, praktiziere und lehre das 3. Kapitel des Yoga Sutra von Patañjali. Betone die Stufen der Konzentration und die Praxis von Samyama.
  13. Studiere, praktiziere und lehre die Glieder des Ashtanga Yoga Kramah von Patañjali als eine erkennbare Abfolge.

Deutsche Übersetzung: Judith Quijano