Ahiṃsā

by Ruth Lauer-Manenti |
March, 2023
यमनियमासिप्राणायामप्रत्याहारधारणाध्यािसमाधयोऽष्टावङ्गानि ॥ २.२९॥

Yama-niyamāsana-prāṇāyāma-pratyāhāra-dhāraṇā-dhyāna-samādhayo’ṣṭāvaṅgāni

Der achtgliedrige Pfad Ashtanga Yoga von Patanjali umfasst:

  1. Yama – Verhaltensregeln gegenüber Anderen
  2. Niyama – Verhaltensregeln gegenüber uns selbst
  3. Asana – Sitz
  4. Pranayama – Atemkontrolle
  5. Pratyahara – Rückzug der Sinne
  6. Dharana – Konzentration
  7. Dhyana – Meditation
  8. Samadhi – yogische Ekstase

~ Übersetzung von Sharon Gannon

PYS 2.29

Ahimsa ist eine Praxis, die zu Erleuchtung führt und Erleuchtung ist ein Bewusstseinszustand, der jenseits von Worten liegen soll. Und doch werden oft Worte und Beschreibungen wie „ausgedehnt“, „erleuchtet“, „wahrheitstragend“, „Nicht-Identifikation mit den Windungen des Geistes“ und/oder „das achte Glied – Samadhi“ verwendet, um diesen Bewusstseinszustand zu beschreiben. Es ist erfreulich, dass es so viele Möglichkeiten gibt, etwas zu beschreiben, von dem man sagt, es sei unbeschreiblich. Ahimsa ist der erste Schritt der fünf Teile von yama und yama ist das erste Glied oder der erste Teil des achtgliedrigen Pfades von Patanjalis Ashtanga Yoga-System, das im achten Schritt in Erleuchtung endet. Ahimsa ist somit die erste Stufe des ersten Glieds. Obwohl alle Glieder wichtig sind und als System zusammenwirken, ist es aufschlussreich, ihre Reihenfolge zu studieren und zu verstehen, was zuerst, zuletzt, davor und danach kommt. Das Wort ahimsa bedeutet, keinen Schaden zu verursachen. Himsa bedeutet Schaden und das a davor steht für die Negation des darauf Folgenden, schafft also einen Gegensatz dazu.
Ahimsa ist sowohl ein starker und edler Wunsch tief in unserem Herzen/Geist, keinen Schaden zu verursachen, als auch die Praxis, diesem Wunsch entsprechend zu handeln. Mit der Zeit vertieft sich der Wunsch und unsere Fähigkeit, ihn auszudrücken, er erweitert sich. Yama bedeutet auch Zwilling und bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen. Die Praxis besteht darin, darauf zu verzichten, das Gegenüber zu verletzen. Das zweite Glied in Patanjalis Ashtanga Yoga-System ist niyama: Niyama besteht aus fünf Praktiken, die eine nicht schädigende und positive Beziehung gegenüber uns selbst kultivieren. In gewisser Weise bildet niyama vielleicht deshalb eine Grundlage für yama, weil wir das Verletzen von uns selbst in unseren Handlungen nach außen projizieren. Im Yoga-System von Patanjali steht yama zwar an erster Stelle, doch die ersten beiden Glieder wirken zusammen und bilden gemeinsam ein Gleichgewicht. So abgedroschen es auch klingen mag: Sich selbst ein guter Freund zu sein, ist der Schlüssel dazu, Anderen ein guter Freund zu sein.
Manchmal wird ahimsa mit liebevoller Güte übersetzt. Bei dieser Übersetzung wird eher der positive Aspekt hervorgehoben als der negative. Ahimsa kann dann als etwas verstanden werden, das man tun sollte, anstatt es zu unterlassen. Es ist jedoch gut, sich das Wort selbst vor Augen zu führen und auf diese Weise zu reflektieren, wie wir Schaden verursachen. Verantwortlichkeit ist bei jeder Art von spiritueller Praxis entscheidend. Wie sonst können wir uns selbst erkennen und mit uns arbeiten? Es ist diese Verantwortlichkeit, die zu Freiheit und Veränderung führt.
Es gibt viele Wege, über die wir Schaden verursachen und es ist entmutigend, sich vorzustellen, welche Auswirkungen unser eigener Fußabdruck haben kann. Die Arbeit, die für Yogapraktizierende von Interesse ist, besteht also darin, den Schaden, den man verursacht, zu minimieren. Diese Praxis endet nie. Sie kann in Form von Veganismus, Aktivismus, bewusstem Konsumverhalten und/oder einer E-Mail erfolgen, die mehrmals überarbeitet wird, bevor man sie abschickt. Die Praxis kann im Privaten stattfinden, indem man im Stillen versucht, in Harmonie zu leben, oder in der Öffentlichkeit, wenn man Lehrende:r oder Leitende:r ist. Die Praxis kultiviert eine Lebensweise, die eine Energie der Liebe und Dankbarkeit ausstrahlt und diese kann ihrerseits eine raue Atmosphäre zum Schmelzen bringen. Zur Praxis gehören Gedanken, Worte und Taten. Wie auch immer du deine Praxis gestaltest – niemand kann sie für dich tun oder sie dir abnehmen. Sie gehört dir und sie ist kontinuierlich. Sie beginnt vielleicht mit deiner unmittelbaren Umgebung, mit den Menschen, die dir nahe stehen und die dir lieb und teuer sind, doch sie ist nicht auf diejenigen beschränkt, die du magst oder denen du besonders zugetan bist. Sie ist weitreichend und schließt auch Andere ein, denen du vielleicht neutral gegenüberstehst oder die du sogar ablehnst. Es mag manchmal schwierig sein, sich vor Ausbrüchen u. Ä. zurückzuhalten. Genau an dieser Stelle kann die Praxis die Zeit, den Raum und die Änderung der Denkweise bieten, die dringend erforderlich sind, um zu einer ruhigeren und natürlicheren Haltung zurückzukehren. Manchmal mag es sich so anfühlen, als hätten wir keine Liebe zu geben, doch wir können zumindest in uns selbst den Willen finden, keinen Schaden anzurichten. Durch die Praxis entdeckt man in sich selbst das Potenzial, seine Probleme (die Höhen, Tiefen und Stolpersteine) auf friedliche Weise zu lösen, und man wird diese Fähigkeit immer mehr zum Vorschein bringen wollen. Es handelt sich nicht um eine religiöse Praxis oder um eine Praxis, die einer bestimmten Gruppe von Menschen angehört. Sie ist weder akademisch noch mangelt es ihr an Hingabe. Sie ist vielmehr ein Weg, Gott von Angesicht zu Angesicht oder Gott in allen Gesichtern zu sehen.
Manchmal ist es am Besten, nichts zu tun. Der kanadische Umweltschützer Paul Watson, der auch als „Sea Sheperd“ bekannt ist, sagt oft, dass sich viele aussterbende Pflanzen und Tierarten innerhalb von fünfzig Jahren regenerieren würden, wenn wir die Ozeane einfach in Ruhe ließen, nicht aus ihnen fischten und keinen Giftmüll in sie geben würden. Ähnlich kann es eine unerwartete und schöne Überraschung hervorbringen, wenn man davon absieht, etwas Unfreundliches zu sagen.

Teaching Tips

1. Erzähle persönliche Geschichten, die veranschaulichen, wie jemand einen freundlichen Weg gefunden hat, mit einer feindlichen Situation umzugehen.
2. Bitte die Schüler:innen, darüber nachzudenken, wie die Absicht hinter ihrer Asana-Praxis einen liebevolleren Lebensstil unterstützen kann.
3. Lies Passagen aus Werken von Thich Nath Hahn oder anderen großen Lehrenden der Gewaltlosigkeit. Schon ein paar Minuten solcher Lektüre können sehr wirkungsvoll sein.

 

Englisches Original: Ruth Lauer Manenti
Deutsche Übersetzung: Judith Quijano