In der Jivamukti-Tradition ist Bhakti, die Hingabe, ein Schlüsselelement in jeder Klasse, denn wenn wir unseren Geist nicht bewusst auf etwas jenseits von uns selbst oder auf eine Art heilige Energie richten, könnte es dazu kommen, dass wir in unserer Praxis irdische Dinge wie Ehrgeiz, Eitelkeit, Arroganz oder Unsicherheit verehren und dadurch mit der Zeit sogar ihre Form annehmen. Hingabe bedeutet Liebe, Loyalität und Begeisterung für das Heilige. Ohne Hingabe würdest du diesen Text wahrscheinlich nicht lesen und ich hätte ihn vielleicht auch nicht geschrieben. Ohne Hingabe hätten wir alle unsere spirituelle Praxis nach der „Flitterwochen-Phase“ aufgegeben, dann, wenn die Knie und der untere Rücken zu schmerzen beginnen und die Euphorie nach der Praxis etwas nachlässt. Was ist es, das uns weitermachen lässt? Was ist es, das uns immer wieder aufstehen, unsere Matten ausrollen und unsere Meditationsdecke falten lässt?
Die Verehrung bringt uns näher an unser Objekt der Hingabe heran. Jedes Mal, wenn wir zu Beginn der Praxis unsere Absicht festlegen, ist es, als würden wir das Ziel in ein Navigationssystem eingeben. Umgekehrt gilt auch: Wenn wir kein Ziel eingeben, werden wir wahrscheinlich an einem Ort landen, an dem wir nicht sein wollten. Wenn wir unser Ziel in unser Navigationssystem eingegeben haben, müssen wir erstens anerkennen, dass wir allein nicht den Weg kennen (Demut) und zweitens genug Vertrauen haben, um uns führen zu lassen. In der spirituellen Praxis ist die Kraft, die uns den Weg weist, Gott oder eine andere Form von heiliger Energie, die zu unserem spirituellen Magnet wird und uns zu ihr und damit zu uns selbst hinzieht.
Doch Führung zuzulassen oder sogar darum zu bitten, erfordert Demut (bzw. das Eingeständnis, das wir nichts wissen), Glauben oder Vertrauen in etwas, das wir intellektuell vielleicht nicht verstehen, und Hingabe (also die Fähigkeit, auf dem Weg zu bleiben, auch wenn es harte Arbeit erfordert).
Ein menschlicher Körper nimmt im Laufe seines Lebens oft die Form dessen an, was von ihm verlangt wird: So nehmen die Füße einer Ballerina die Form von Spitzenschuhen an, der Hals einer Geigerin neigt sich vielleicht immer mehr zu der Seite, auf der sie das Instrument hält und die Hände eines Bildhauers sind vielleicht rau. In derselben Weise, wie unser Körper sich so formt, wie wir ihn am meisten benutzen, tun dies auch unser Geist und unsere Seele. Unsere Aktivitäten formen unseren Körper und unsere Gefühle prägen unser Gesicht. Wir sind wie Steine, die über lange Zeit vom Wasser erodiert werden. Was auch immer wir uns widmen, wird uns mit der Zeit mehr und mehr formen und gestalten. Das heißt, wenn wir uns der Verehrung des Heiligen, des Göttlichen oder der Liebe widmen, werden wir umso mehr zum Heiligen, zum Göttlichen oder zur Liebe selbst.
Anbetung hat einen sehr repetitiven Charakter. Dasselbe Ritual wird unzählige Male mit der größten Liebe und Hingabe durchgeführt, die in diesem Moment möglich sind. Hingabe kennt keine Langeweile oder Starrheit im üblichen Sinne, sie kümmert sich nicht darum, wie oft dieselbe Sache getan wird. Hingabe wird einer Handlung immer den gleichen Zauber verleihen wie beim ersten oder letzten Mal. Padmaji beschreibt es so: „Mit großer Liebe ist alles möglich“. Hingabe ist die größte Liebe und sie macht ganz gewiss alles möglich. Oder umgekehrt: Mit wenig Liebe ist nicht so viel möglich. Mit wenig Liebe würde jeder spirituelle Aspirant bei der ersten Schwierigkeit von seinem Weg abgebracht werden. Praxis ohne Hingabe ist wie eine Lampe ohne Öl. Sie wird keinen Bestand haben und kein Licht erzeugen.
Das Maha-Mantra ist ein kosmisches Liebeslied an das Göttliche und es ist eine Anbetung in ihrer freudigsten Form. Wenn wir uns voll und ganz dem Chanten widmen, verlieren wir uns im Chanten an die Liebe, erinnern uns an ihre Eigenschaften und bringen ihren emotionalen Zustand hervor; wir werden zur Liebe selbst. Indem wir den Namen des Göttlichen singen, erinnern wir uns an unsere göttliche Natur. Die Sehnsucht und das Verlangen, die durch dieses Mantra schwingen, werden zu unseren eigenen, sobald wir es chanten, und unsere Seele wird sich an ihre Sehnsucht erinnern, mit dem Göttlichen oder ihrer innewohnenden göttlichen Natur vereint zu sein.
Hingabe hat viele Gesichter: Sie kann ekstatisch sein, wie das tagelange Chanten des Maha Mantras, aber sie kann auch stiller und intimer sein. Sie kann klein sein, wie eine kleine Verbeugung des Kopfes in Richtung des Herzens, um sich an Gott oder Guru zu erinnern, bevor wir unseren ersten Sonnengruß üben. Hingabe kann subtil sein wie das vorsichtige Aufheben eines Gegenstandes vom Altar und dessen Reinigung. Vielleicht bedeutet sie auch nur, das zu praktizieren, was der:die Lehrer:in uns gelehrt hat. Unsere Hingabe kann sogar im Laufe unseres Lebens verschiedene Formen und Gestalten annehmen und irgendwann wird unsere Verehrung möglicherweise so subtil werden, dass sie fast unsichtbar ist, weil wir bereits zu dem geworden sind, was wir verehrt haben