Āsana kann wie ein Strudel wirken und Freundlichkeit, Hingabe, Stille, Schönheit und Selbstreflexion in die Praxis hineinbringen. Wenn wir durch die āsana-Praxis unseren Körper bewegen und unseren Geist einstimmen, pflanzen wir gleichzeitig die Samen der Hingabe. Jedes Mal, wenn wir auf die Matte zurückkehren, nähren wir diese Samen und kultivieren eine Vertrautheit mit den Bewegungen unseres Körpers, unseres Atems und unseres Geistes. Wenn wir in unseren Körper eintauchen und wirklich fühlen, kann Mitgefühl Raum finden. Wenn wir uns selbst stärker spüren, sind wir eher in der Lage, die Schwierigkeiten Anderer wahrzunehmen und für sie empfänglich zu sein. Durch Wiederholung über einen längeren Zeitraum hinweg verfeinern wir unsere Fähigkeit, zuzuhören, zu betrachten und zu meditieren – all das durch die Verfeinerung von āsana.
Die Tradition bietet für das Wort āsana viele Bedeutungsnuancen. Zu früheren Zeiten bedeutete āsana der Sitz, also die Art und Weise, wie man sich für Praktiken wie Pranayama, Meditation oder Chanten hinsetzt. Daraufhin bezeichnete das Wort auch das Objekt, auf dem man saß, also beispielsweise eine Matte oder Gras. Mit der Zeit erweiterte sich der Wortinhalt um ein breiteres Spektrum von Körperhaltungen. Heute verweist āsana mitunter auf die Aneinanderreihung vieler Bewegungen in einer Yogastunde. Im Jivamukti Yoga spielt āsana als eine Form der Bewegung eine sehr wichtige Rolle und die Methode ergänzt die traditionelle Bedeutung des Wortes durch eine aktuellere, zeitgenössischere Interpretation.
„Wie definierst du die āsana-Praxis?“ Diese Frage pflegte Sharonji Schüler:innen in Yogakursen und Workshops zu stellen. Auf diese Frage folgte die Erforschung dessen, was es bedeutet, einen Sitz einzunehmen. Ein Sitz impliziert eine Verbindung zwischen mindestens zwei Dingen. Es gibt denjenigen:diejenige, der:die sitzt, und denjenigen:diejenige, auf den:die man sich setzt oder mit dem:r man für mehr Halt verbunden ist. Was ist es, mit dem wir alle verbunden sind und das uns alle trägt? Dieses Zuhause, das wir Erde nennen. In der āsana-Praxis geht es nicht nur um die Verfeinerung der Art und Weise, wie sich unser Körper durch den Raum bewegt, oder darum, wie wir sitzen oder sogar worauf wir sitzen, sondern auch um die Qualität der Verbindung zum größeren Ganzen. Ist die Beziehung zur Erde stabil und freudvoll?
Vyaas Houston übersetzt das Wort sthira mit „stabil“. Damit etwas stabil ist, reicht ein kurzzeitiges Gleichgewicht nicht aus. Ein stabiles Ökosystem ist auch widerstandsfähig. Eine stabile Beziehung kann Härte und Herausforderungen aushalten. Vyaas übersetzt sukham weiter mit „angenehm“. Sich über einen langen Zeitraum hinweg anzustrengen, um Stabilität zu erzielen, wird nicht funktionieren. Wir sollten ein gewisses Maß an Komfort haben. Unser Bemühen und unsere Aufmerksamkeit sollten uns an einen Ort führen, an dem der Sitz bzw. unsere Verbindung zur Erde beständig und stabil sowie freudvoll oder zumindest angenehm ist.
Der Mensch hat die Erde viele Jahre als einen Ort gesehen, der nur dazu da ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Beziehung kann – um es gelinde auszudrücken – als einseitig bezeichnet werden. Die meisten von uns haben sich genommen, was sie wollten und wann sie es wollten. Wir haben geglaubt, dass die Erde uns gehört. Dieses Ungleichgewicht und seine tiefgreifenden Auswirkungen auf die Umwelt sowohl im Inneren als auch im Äußeren werden immer mehr Menschen bewusst. Der Wunsch, sich um die Welt und um sich selbst zu kümmern, ist in allen sozialen und Mainstream-Medien präsent. Die Suche nach einer spirituellen Praxis entspricht sowohl für den Menschen als Individuum als auch für den Menschen als Teil eines größeren Ganzen der Suche nach Heilung.
Die āsana-s selbst zelebrieren die Welt, die wir bewohnen, sowie die Weisheit, die sie enthält. Die āsana-Praxis kann zu einem Zusammenfluss, zu einer Schnittstelle für ahimsa, bhakti, dhyāna, nāda und śastra werden, wenn wir uns im Herzen und Geist mit ihnen bewegen.