Auf Deutsch: Über Āsana

by Jules Febre |
April, 2022
Sthira Sukham Āsanam

Der Sitz sollte stabil und freudvoll sein

 

 

YS 2.46

Āsana kann wie ein Strudel wirken und Freundlichkeit, Hingabe, Stille, Schönheit und Selbstreflexion in die Praxis hineinbringen. Wenn wir durch die āsana-Praxis unseren Körper bewegen und unseren Geist einstimmen, pflanzen wir gleichzeitig die Samen der Hingabe. Jedes Mal, wenn wir auf die Matte zurückkehren, nähren wir diese Samen und kultivieren eine Vertrautheit mit den Bewegungen unseres Körpers, unseres Atems und unseres Geistes. Wenn wir in unseren Körper eintauchen und wirklich fühlen, kann Mitgefühl Raum finden. Wenn wir uns selbst stärker spüren, sind wir eher in der Lage, die Schwierigkeiten Anderer wahrzunehmen und für sie empfänglich zu sein. Durch Wiederholung über einen längeren Zeitraum hinweg verfeinern wir unsere Fähigkeit, zuzuhören, zu betrachten und zu meditieren – all das durch die Verfeinerung von āsana.

Die Tradition bietet für das Wort āsana viele Bedeutungsnuancen. Zu früheren Zeiten bedeutete āsana der Sitz, also die Art und Weise, wie man sich für Praktiken wie Pranayama, Meditation oder Chanten hinsetzt. Daraufhin bezeichnete das Wort auch das Objekt, auf dem man saß, also beispielsweise eine Matte oder Gras. Mit der Zeit erweiterte sich der Wortinhalt um ein breiteres Spektrum von Körperhaltungen. Heute verweist āsana mitunter auf die Aneinanderreihung vieler Bewegungen in einer Yogastunde. Im Jivamukti Yoga spielt āsana als eine Form der Bewegung eine sehr wichtige Rolle und die Methode ergänzt die traditionelle Bedeutung des Wortes durch eine aktuellere, zeitgenössischere Interpretation.

„Wie definierst du die āsana-Praxis?“ Diese Frage pflegte Sharonji Schüler:innen in Yogakursen und Workshops zu stellen. Auf diese Frage folgte die Erforschung dessen, was es bedeutet, einen Sitz einzunehmen. Ein Sitz impliziert eine Verbindung zwischen mindestens zwei Dingen. Es gibt denjenigen:diejenige, der:die sitzt, und denjenigen:diejenige, auf den:die man sich setzt oder mit dem:r man für mehr Halt verbunden ist. Was ist es, mit dem wir alle verbunden sind und das uns alle trägt? Dieses Zuhause, das wir Erde nennen. In der āsana-Praxis geht es nicht nur um die Verfeinerung der Art und Weise, wie sich unser Körper durch den Raum bewegt, oder darum, wie wir sitzen oder sogar worauf wir sitzen, sondern auch um die Qualität der Verbindung zum größeren Ganzen. Ist die Beziehung zur Erde stabil und freudvoll?

Vyaas Houston übersetzt das Wort sthira mit „stabil“. Damit etwas stabil ist, reicht ein kurzzeitiges Gleichgewicht nicht aus. Ein stabiles Ökosystem ist auch widerstandsfähig. Eine stabile Beziehung kann Härte und Herausforderungen aushalten. Vyaas übersetzt sukham weiter mit „angenehm“. Sich über einen langen Zeitraum hinweg anzustrengen, um Stabilität zu erzielen, wird nicht funktionieren. Wir sollten ein gewisses Maß an Komfort haben. Unser Bemühen und unsere Aufmerksamkeit sollten uns an einen Ort führen, an dem der Sitz bzw. unsere Verbindung zur Erde beständig und stabil sowie freudvoll oder zumindest angenehm ist.

Der Mensch hat die Erde viele Jahre als einen Ort gesehen, der nur dazu da ist, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Beziehung kann – um es gelinde auszudrücken – als einseitig bezeichnet werden. Die meisten von uns haben sich genommen, was sie wollten und wann sie es wollten. Wir haben geglaubt, dass die Erde uns gehört. Dieses Ungleichgewicht und seine tiefgreifenden Auswirkungen auf die Umwelt sowohl im Inneren als auch im Äußeren werden immer mehr Menschen bewusst. Der Wunsch, sich um die Welt und um sich selbst zu kümmern, ist in allen sozialen und Mainstream-Medien präsent. Die Suche nach einer spirituellen Praxis entspricht sowohl für den Menschen als Individuum als auch für den Menschen als Teil eines größeren Ganzen der Suche nach Heilung.

Die āsana-s selbst zelebrieren die Welt, die wir bewohnen, sowie die Weisheit, die sie enthält. Die āsana-Praxis kann zu einem Zusammenfluss, zu einer Schnittstelle für ahimsa, bhakti, dhyāna, nāda und śastra werden, wenn wir uns im Herzen und Geist mit ihnen bewegen.

Teaching Tips

  • Chante YS 1.14 oder 2.46 und unterrichte während des ganzen Monats ein oder zwei herausfordernde āsana-s. Erlaube es den Schüler:innen, durch Wiederholung mehr Sicherheit und Stabilität in der Haltung zu finden. Informiere sie zu Beginn des Monats über diese Vorgehensweise, damit sie ihren Fortschritt im Auge behalten können. Dieser Fortschritt muss nicht unbedingt körperlich, sondern kann auch geistig oder emotional sein.
  • Lade die Schüler:innen ein, eine Beziehung in ihrem Leben außerhalb des Yogaraums oder der Matte zu wählen, die sie gerne verfeinern würden. Du könntest sie zum Beispiel zu Beginn des Monats bitten, niederzuschreiben, was sie als Ursache für den Zustand dieser Beziehung ansehen.
  • Hebe hervor, wie jeder der 5 Grundsätze in jede Unterrichtsstunde integriert wird. Denke daran, dass in den nächsten Monaten jeweils einer der Grundsätze im Mittelpunkt stehen wird. Die Idee ist, zu zeigen, wie eine Open Class oder ein Workshop eine Mischung aus allen 5 Grundsätzen sein kann.
  • Wähle ein āsana (z. B: sukhāsana, swastikāsana, śavāsana), die über einen längeren Zeitraum gehalten werden kann, und unterrichte sie im Detail. Die längere Zeitspanne kann den Menschen offenbaren, an welcher Stelle sie sich der āsana widersetzen. Das wiederum kann auf das tägliche Leben übertragen werden: Sind wir dazu in der Lage, mit jemandem oder etwas über einen längeren Zeitraum zusammen zu sein, um eine Veränderung zu bewirken, wenn sich dies als notwendig erweist? Können wir zumindest erkennen, wie unser Geist funktioniert, wenn wir mit Unbeständigkeit und einem empfundenen Mangel an Freude konfrontiert werden?
  • Frage die Schüler:innen, ob sie einige der 5 Grundsätze in einer āsana-Praxis erkennen können. Sind bestimmte āsana-s leichter zu erkennen oder einzubauen als andere?
  • Mache zu Beginn und am Ende der Klasse das Gleiche, um zu sehen, ob sich durch die āsana-Praxis eine Veränderung ergeben hat. Du kannst z. B. zu Beginn der Stunde aus „I Am That“ (oder einem anderen Text deiner Wahl) vorlesen, chanten oder meditieren, die Gruppe anschließend durch die āsana-Praxis führen und dann so genau wie möglich wiederholen, was du zu Beginn angeleitet hast. Wenn du dazu in der Lage bist, kannst du die āsana-Praxis in eine bestimmte Reihenfolge bringen, um die Wirkung am Ende zu verstärken, je nachdem, was gerade wiederholt wird. So können zum Beispiel Rückbeugen das Chanten ergänzen und Vorwärtsbeugen oder Hüftöffnungen die Meditation abrunden.
  • Das Leben ist einfacher, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Körper Teil eines gesunden Systems ist und selbst ein gesundes System darstellt. Ein System besteht aus mehreren Prozessen, die zusammenarbeiten und die Gesundheit ist eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung. Wenn wir dies in unserem Körper erforschen, werden wir uns vielleicht selbst als Teil eines größeren Systems wahrnehmen, das eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung erfordert. Alle 5 Grundsätze, die in die āsana-Praxis integriert sind, können im Kleinen wie im Großen ein gesünderes System hervorbringen.

 

Deutsche Übersetzung: Judith Quijano