Om purnam adah purnam idam purnat purnam udachyatepurnasya purnam adaya purnam evavashishyate
Jenes ist Fülle. Dieses ist Fülle. Aus der Fülle manifestiert sich die Fülle. Wenn die Fülle verschwindet, bleibt Fülle zurück.
Aus den Yajur Veden und der Isha Upanishad
Yoga Praktiken sind magische Praktiken. Magie entsteht, wenn sich die Wahrnehmung verändert – was dir als real erschien, verschwindet, um eine weiter ausgedehnte erleuchtete Realität zu enthüllen. Yoga Praktiken, verstärkt durch eine aufrichtige Intention zur Selbstrealisierung, werden die gewöhnliche Art des Sehens transformieren – wie wir uns auf uns selbst und andere beziehen. Unsere Gedanken, Worte und Taten sind alle mit unseren Beziehungen verbunden – darum geht es im Leben. Aber für einen erleuchteten Yogi gibt es keine „anderen“. Im yogischen Zustand des samadhi sind die Grenzen, die dich von Gott trennen, ebenso die Welt um dich herum, die Welt des Andersseins, völlig verschwunden. Es bedarf einer Hochleistungsmagie, um eine Veränderung der Wahrnehmung wie diese zu erreichen!
Das Wort Wahrnehmung bedeutet „ zu sehen“. Aber es bedeutet sehen mit mehr als nur den physischen Augen. Es bedeutet mehr als nur zu verstehen, vielmehr „zu erkennen“. Das Englische Wort „verstehen“ beinhaltet eine Dualität, so als stündest du unter etwas. Aber um wirklich etwas zu erkennen, musst du selbst darin versinken und ein vollkommenes Erlebnis davon haben – um mit diesem Etwas zu sein. Und das, was während samadhi erkannt oder wahrgenommen wird ist, die Einheit des Seins. Anderssein löst sich auf, wenn du dein eigenes Selbst in anderen siehst, was offenbart, dass allein die Liebe real ist.
Die Chakren sind Pforten der Wahrnehmung in eine neue Dimension der Realität. Die bija Mantren sind die Passwörter oder Schlüssel, welche die Türen zu jedem dieser Chakren öffnen, zu jeder dieser Welten. Bija bedeutet „Samen“ im Sinne von einem Potential oder Destillat, wo etwas sehr großes in etwas sehr kleines, kompaktes und essenzielles komprimiert ist. Mit etwas in einer sehr kompakten Form kann man sehr gut reisen! Das ist es, was wir im Leben tun. Unsere Seelen reisen, wandern durch Dimensionen von Realität zu unserem wahren Zuhause.
Alle Yoga Praktiken sind Reinigungspraktiken, die uns helfen, unser Gepäck zu erleichtern, so dass unsere Reise glatter verläuft. Das System der asana wurden sehr genau erarbeitet, um uns bei der Reinigung der Körper zu helfen, welche aus unseren Karmas, die aus unseren Beziehungen stammen, gemacht sind. Yoga gibt uns die Hilfsmittel, um unsere Wahrnehmung zu reinigen, indem wir nur den Schmutz, der wirklich existiert, beseitigen: Unwissenheit oder avidya. Diese Unwissenheit wird durch Sinnestäuschung verursacht, die Unfähigkeit, uns selbst, andere und die Realität klar zu sehen oder wahrzunehmen.
Wir reinigen unsere Wahrnehmung mit dem einzigen Reiniger, den wir kennen, um die erstaunlichsten Resultate mit keinerlei Nebeneffekten zu erhalten. Er ist wie Clorox Bleichmittel ohne jegliches Chlor. Er ist wie das unglaublichste Reinigungsmittel, das kein Wassersystem verunreinigt und unsere Kleidung in der Waschmaschine nicht verschleisst. Der magische Reiniger, von dem ich spreche, ist Liebe. Wenn du andere und dich wahrhaftig lieben kannst, kannst du Gott lieben. Anderen und uns selbst zu vergeben, sowie auch das Loslassen von Schuldzuweisung, Quengelei und Erklärungen sind notwendig, um der Liebe zu erlauben, dass ihre Magie wirken kann.
Shri Brahmananda Sarasvati beschrieb Yoga als „den Zustand, in dem du nichts vermisst“. Du realisierst, dass du ein heiliges Wesen bist – dass du vollständig bist. Sobald letztlich das Dämmern dieser kompletten yogischen Erleuchtung erscheint, merkst du, wie du egoistische Tendenzen loslässt und weniger versuchst, anderen Schuld zuzuweisen oder dich selbst als ein Opfer von jeglicher Art von Missbrauch oder der Umstände zu sehen.
Da wir in unseren Körpern unser ungelöstes Karma tragen, können manchmal während der Asana Praxis negative Gefühle auftauchen. Gefühle wie Angst, Neid, Ärger, Rache, Zynismus, Zweifel und der Mangel an Vertrauen sind die Ergebnisse von Karma oder der Handlungen, die wir in unserer Vergangenheit vorgenommen haben, welche nicht von Liebe geleitet wurden. Diese dunklen Emotionen sind Hindernisse, die unseren Blick trüben und uns daran hindern können, uns mit unserer ewig wahren Natur verbunden zu fühlen. Wir können diese störenden Gefühle durch Liebe adressieren und beginnen, unserer Wahrnehmung weg von Trennung und hin zu Stabilität und Freude zu verschieben – mit anderen Worten hin zu sthira und sukham.
Diese Art zu denken, dass wir als Individuum unser Bestes tun, um das Leben anderer und sogar das der Erde selbst zu bereichern, ist ziemlich neu in einer Kultur, deren Anschauung darauf basiert, dass die Erde uns gehört und wir, um glücklich zu sein, von anderen nehmen müssen. Angst verursacht in uns das Gefühl, dass wir etwas verlieren, wenn wir etwas hergeben – womit weniger für uns da ist. Durch die Praxis von Yoga werden wir furchtlos und wagemutig. Statt uns unvollständig zu fühlen, motiviert durch das Bedürfnis, von anderen zu nehmen, um uns vollständig zu fühlen, sollten wir uns trauen zu fragen „Was kann ich für andere tun? Wie kann ich leben, dass mein Leben den Planet Erde bereichert?“ Diese Art der Veränderung der Wahrnehmung kann eine enorme Kehrtwende sein, die uns von kulturellen Konditionen befreit, welche unsere Wahrnehmung der Realität für viele Jahre, sogar Lebzeiten, verzerrt haben mögen. Aber selbstlose Handlungen, die durch Liebe motiviert sind, sind solche Handlungen, die zu samadhi führen, uns befreit leben lassen, wie ein Jivanmukta im Licht der Liebe, als freudvolle „heile“, heilige Lebewesen.
Essay von Sharon Gannon
Copyright Deutsche Übersetzung: Jivamukti Berlin GmbH. Der Englische Originaltext findet sich unter https://jivamuktiyoga.com/focus
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team