Intention

by Andrea Kwiatkowski |
January, 2023

LOKĀḤ SAMASTĀḤ SUKHINO BHAVANTU

Mögen alle Wesen überall glücklich und frei sein und mögen meine Gedanken, Worte und Taten in irgendeiner Weise zum Glück und zur Freiheit aller beitragen.

Das Ergebnis jeder Handlung im Leben wird durch die Intention bestimmt, die ihr zugrunde liegt. Eine Intention kann als etwas definiert werden, das man tun will oder plant. Mit anderen Worten handelt es sich um ein Ziel, das man anstrebt. Etwas mit einer Intention zu tun bedeutet, etwas mit Absicht zu tun und bewusst zu handeln. Zu Beginn einer Jivamukti Yoga-Stunde bittet der Lehrende die Schüler:innen, sich eine Intention für die Stunde zu setzen, mit Absicht zu handeln und die Atmung und die eigenen Handlungen individuell und kollektiv bewusst mit dem Ziel Yoga zu verbinden – der Verwirklichung des Selbst.

Sharon Gannon sagte einmal: „Du kannst kein Yoga machen. Yoga ist das, was du bist, dein natürlicher Zustand. Alles, was du tun kannst, sind Praktiken, die deinen Widerstand, in diesem natürlichen Zustand zu existieren, enthüllen.“ Die Motivation für unsere Praxis muss von Anfang an klar sein. Was glauben wir, wofür diese Praxis wirklich gut ist? Streben wir die Vereinigung mit dem göttlichen Selbst an und kultivieren wir den Wunsch nach Yoga? Entwickelt die Praxis unser Potenzial, das Göttliche in jedem:r und in allem zu sehen, mit dem:der wir in Kontakt treten? Unsere Intention kann uns helfen, Mitgefühl, Freundlichkeit und Liebe zu kultivieren.

In der Jivamukti-Yoga-Tradition setzen wir eine Intention, indem wir das folgende Mantra singen: lokāḥ samastāḥ sukhino bhavantu. Übersetzt bedeutet das: Mögen alle Wesen überall glücklich und frei sein und mögen meine Gedanken, Worte und Taten in irgendeiner Weise zum Glück und zur Freiheit aller beitragen.
Unsere Gedanken sind geprobte Handlungen. Wenn wir an Andere denken und ihnen unsere Handlungen widmen, führt uns das aus unserem kleinen egoistischen Selbst heraus und bildet die Zentriertheit auf Andere heraus. Dies ist ein Schritt in Richtung Yoga – wenn Andere verschwinden und wir die Einheit des Seins erkennen. Das ist Erleuchtung. Durch die Wiederholung dieses Mantras wird die Intention dahinter in unserem Leben stärker.

Es war Swami Nirmalananda, der Sharon und David dieses kraftvolle Mantra lehrte. Er lebte wie der Heilige Franz von Assisi in seinem Ashram, umgeben von Tieren und Vogelgesang. Er verkörperte diese Intention, ahimsā, also diese Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen zu praktizieren. Er empfahl, das Mantra in einem melancholischen Tonfall zu singen: „Um zu Gott zu singen, muss eine Sehnsucht in deiner Stimme sein, ein Hauch von Traurigkeit ist gut“, pflegte er zu sagen. Indem wir das Mantra singen, halten wir seine Präsenz mittels unserer Lehrer:innen und Lehrer:innentradition lebendig.

Das Sanskrit-Wort antu bedeutet „so soll es sein“. Wenn wir es singen, sollten wir es auch so meinen. König Shibi in dem großen Epos Mahabharata nahm dieses Versprechen sehr ernst. Er war für seine Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Intention bekannt. König Shibi rezitierte das Mantra täglich und gelobte, alle Wesen in seinem Königreich zu schützen. Eines Tages flog eine wunderschöne kleine Taube durch das Fenster des Palastes und zitterte vor Angst. „Bitte beschütze mich, lieber König“, sagte die Taube. „Ich werde von einem schrecklichen Falken gejagt, der mich töten will“. Die Taube suchte Schutz im Schoß des Königs, der spürte, dass sie sehr schnell atmete. „Hab keine Angst, mein Schatz“, sagte der König. „Ich werde nicht zulassen, dass jemand auch nur deine Federn berührt. Entspanne dich jetzt und beruhige dich“. Als der König den Thron bestieg, hatte er die Intention, niemals zuzulassen, dass die Schwachen von den Starken ausgebeutet werden. Bäume, Vögel und alle Tiere brauchten seinen Schutz, ebenso wie die Menschen in seinem Reich. Plötzlich stürzte der Falke durch das Fenster und landete vor dem König. „Oh König, du hast meine Beute versteckt. Ich bin hungrig und muss essen.“ Der König wusste nicht, was er tun sollte, hatte er doch geschworen, alle Lebewesen zu beschützen. Er stand vor einem Dilemma: Die Taube zu schützen würde bedeuten, den Falken seiner Beute zu berauben. Der Falke war nicht Vegetarier wie andere Tiere, was konnte er also tun? König Shibi dachte einen Moment lang nach und bat dann einen seiner Höflinge, ihm eine Waage zu bringen. Er fragte die Taube, ob es ihr nichts ausmachen würde, auf die Waage zu steigen, um gewogen zu werden. Sie war sehr klein und zart und wog nur ein paar Gramm. „Bitte nimm das Angebot an, einen Teil meines Körpers anstelle der Taube zu essen“, sagte er zum Falken. Also begann er, ein Stück aus seinem Oberschenkel herauszuschneiden und legte es auf die Waage. Das Gewicht reichte nicht aus, um die Waage auszugleichen, also schnitt er ein weiteres Stück heraus, doch auch jetzt war die Waage nicht ausgeglichen. Der König schnitt sich immer weiter Teile seines Körpers heraus, doch die Waage erreichte kein Gleichgewicht. Dem Tode nahe und blutend näherte sich der König dem Falken und sagte: „Ich gebe mich dir hin. Nimm meinen ganzen Körper“. In diesem Moment offenbarte sich der Gott Indra König Shibi. „Du bist ein großer König. Du sagst wirklich, was du meinst und meinst, was du sagst“. Er heilte den Körper des Königs, der weiterhin alle Wesen in seinem Reich beschützte.

Widme deine Praxis einem Wesen an, das du liebst oder das mit einer Situation in seinem Leben zu kämpfen hat. Sieh es klar vor deinem inneren Auge und denke während der Stunde an dieses Wesen. Wenn du dich während des Unterrichts auf dieses Wesen konzentrierst, denkst du eine Weile nicht an dich und deine eigenen Probleme. Widme deine Bemühungen der Erleuchtung und dem Wohlergehen deiner Lehrer:innen. Ihnen in ihrem eigenen Sadhana alles Gute zu wünschen, ist eine weitere Möglichkeit, deine Gedanken und deine Praxis zu erheben. Ohne eine erhabene Intention tendieren wir dazu, zu grübeln und an uns selbst zu denken, wodurch wir tiefer in avidyā bzw. eine falsche Vorstellung von uns selbst geführt werden. Sind wir am Ziel des Yoga oder lediglich an einem körperlichen Training interessiert? Eine Asana-Praxis ohne Intention wird dich möglicherweise stärker und fitter machen, doch sie wird dich nicht den ganzen Weg zu Yoga führen.

Worauf auch immer wir unsere Aufmerksamkeit richten, unsere Energie und unser Fokus werden dorthin gelenkt. Um unsere Intention zu erheben, gibt Meister Patanjali denjenigen, die bereit sind, in Sutra 1.23 folgenden Rat: īśvara pranidhānād vā. Indem Gott du deine Identität gibst, erlangst du die Identität Gottes. Es geht darum, den Geist auf Gott zu fokussieren und die eigenen Handlungen so auszurichten, dass die gesamte Energie und die Emotionen auf dieses eine Ziel gerichtet sind. Patanjali schlägt Bhakti Yoga als einen direkten Weg zum Erkennen Gottes vor. Negative Gedanken oder Emotionen, die während der Praxis auftauchen, können beobachtet werden, und dann wird die Energie umgelenkt. Wir lassen das los, was uns bindet, um durch die Intention, auf die wir hinarbeiten, befreit und gereinigt zu werden. Unser Verstand und unser Herz werden häufig von unseren Gefühlen gegenüber Anderen in unserem Leben aufgewühlt. Wir singen „Mach mich zu einem Instrument deines Willens. Nicht meiner, sondern dein Wille geschehe. Befreie mich von Zorn, Eifersucht und Angst. Erfülle mein Herz mit Freude und Mitgefühl“. Angst kommt aus dem Mūladhāra Chakra, Eifersucht aus dem Swādhishthāna Chakra und Zorn aus dem Manipûra Chakra. Dann bewegen wir uns zum Herzen und Anāhata-Chakra, wo wir uns daran erinnern, alle Handlungen liebevoll dem Göttlichen zu opfern. Die Gegenwart des Göttlichen wird spürbar, wenn wir uns an unsere eigene Seele, den ātman, erinnern. Wir werden zum Instrument Gottes und entwickeln durch diese Erfahrung ātma-jñāna, das Wissen um das Selbst.

In der Bhagavad Gita erklärt Krishna Arjuna, dass wir auf alle Früchte, die wir aus einer Handlung ernten, verzichten bzw. sie aufgeben sollten. Das bedeutet nicht, dass wir nicht planen sollten, etwas zu tun oder bewusst zu handeln, nur sollten wir uns nicht davon leiten lassen, was passieren wird, sondern die Intention weise wählen und Vertrauen in diese Intention haben. Der:Die Yogin:i handelt so, dass er:sie das Glück aller Wesen anstrebt und das Leben Anderer verbessert.

Teaching Tips

  • Schreibe deine Intention während eines Monats auf, lege sie unter deine Matte und bewahre sie an einem Ort auf, an dem du sie sehen kannst, damit sie dich während des Monats inspiriert.
  • Nimm dir zu Beginn der Stunde eigens Zeit, um zu erklären, warum eine höhere Intention / ein Gebet / eine Widmung wichtig ist, um das Ziel von Yoga zu bestimmen. Singe lokāḥ samastāḥ sukhino bhavantu zu Beginn und am Ende der Praxis und ergründe jedes Wort im Detail.
  • Widme die Stunde unseren Lehrern Sharon Gannon und David Life und sprich über unsere Lehrer:innentradition.
  • Lies Seite 18 aus dem Intentionsessay in „Eternity is Happening Now“ (Volume One) und Seite 29 „Lokāḥ samastāḥ sukhino bhavantu“ (Volume Two).
  • Lies Auszüge aus Swami Nirmalanandas „Garland of Forest Flowers“.
  • Lies im Jivamukti Yoga-Buch die Geschichte über den Yogi und die Sexarbeiterin und die Geschichte über den Seestern von Loren Eisley, um zu zeigen, wie ein Gedanke dem Handeln vorausgeht.
  • Meditiere über eine höhere Absicht. Unterrichte die Blessings Meditation aus „Magic Ten and Beyond“ und beschreibe, wie Meditation den Geist auf eine Intention ausrichten kann.
  • Fördere den Dialog mit den Schüler:innen nach dem Unterricht oder in der Gruppe, um gemeinsam herauszufinden, wann die Intention hilfreich war, als gewohnheitsmäßige Gedanken, Emotionen und Vorlieben in der Asana-Praxis auftauchten.
  • Erforsche das Sutra 1.23 īśvara pranidhānād vā und die Beziehung zu Ista-devatā, einem persönlichen Gott.
  • Erforsche Sloka IV.20 aus der Bhagavad Gita: Tyaktvā karmaphalāsañgam / nitya-trpto nirāśrayah / Karmany abhipravrtto’pi / nāiva kimcit karoti sah. Der:Diejenige, der:die die Ergebnisse seiner:ihrer Handlungen losgelassen hat, ist zufrieden und frei von Abhängigkeit, da er:sie weiß, dass nicht er:sie es ist, der:die handelt, selbst wenn er:sie Handlungen ausführt.
  • Verbringe längere Zeit in Umkehrhaltungen und verstärke die Intention, indem du dich an das Ziel der Praxis erinnerst.