Jivamukti Yoga Fokus des Monats Oktober 2010 – Valmiki

by Sharon Gannon |
October, 2010

Valmiki

 

Valmiki ist der Verfasser der Ramayana, einer epischen Geschichte. Bevor er jedoch ein Bestsellerautor wurde, war er ein Dieb und – so die Legende – ein ziemlich guter. Einmal, er war gerade dabei eine goldene Kanne aus dem Haus eines Yogi zu stehlen, als der Yogi erschien. Der Yogi hielt Valmiki nicht davon ab, die goldene Kanne zu stehlen, stattdessen fragte er ihn, warum er ein Dieb sei. Als Valmiki erklärte, dass Stehlen sein Beruf sei und seine Familie davon abhängig wäre, dass er etwas mit nach Hause brächte, was verkauft werden könnte um für sie zu sorgen, stellte der Yogi fest, dass Valmiki’s Familie ihn lieben und schätzen müsste, für das, was er für sie tat. Valmiki bekräftigte dies stolz und prahlte, wie gefährlich und schwierig seine Arbeit sei. Auf seinem Weg nach Hause aber grübelte er über das Gespräch, das er mit dem Yogi hatte, verblüfft darüber, dass ihm der Yogi ohne offensichtlichen Kummer gewährte, die goldene Kanne an sich zu nehmen. Als er schließlich nach Hause kam und seine Frau und seine Kinder ihn fragten, was er ihnen mitgebracht habe, da war es ihm unmöglich, ihnen die goldene Kanne zu geben. Stattdessen log er und sagte, er sei mit leeren Händen heimgekehrt. Seine Frau beschimpfte ihn und beschwerte sich bitterlich, dass sie nun nichts zu essen hätten. Während er die Worte des Yogi in seinem Geist vernahm, fragte Valmiki seine Frau, ob sie ihn lieben würde. Als sie die Idee der Liebe lächerlich machte und ihn für wertlos erklärte, da er nicht für sie und die Kinder sorgen würde, verließ Valmiki traurig sein Zuhause, ging zurück zu dem Yogi und bat ihn, ihm das Loslassen zu lehren.

 

Der Yogi brachte ihm bei zu meditieren und sagte ihm, er solle üben, bis er höhere Bewusstheit erreicht hätte, in der sich alle Fragen und Antworten auflösen würden. Mit Vertrauen in seinen Lehrer setzte sich Valmiki nieder. Er saß für Stunden, dann Tage, und es wurden hunderte, vielleicht tausende von Jahren. Ameisen kamen und bauten ihr Zuhause über seinem sitzenden Körper, daher sein Name, Valmiki, der Ameisenhügel bedeutet.

 

Während der vielen Jahre, die er so sitzend verbrachte, passierte viel in der Welt um ihn herum, einschließlich der gesamten Geschichte von Ram, Sita, Lakshman, Ravana und Hanuman. Am Ende der Geschichte, nachdem der Held Ram, mit Hilfe von Hanuman, den Dämonen Ravana besiegt, und seine geliebte Frau Sita zurückgewonnen hatte, zwangen Ram’s Untergebene ihn, Sita in den Wald zu verbannen, denn sie hegten Argwohn ob Sita’s Treue.

 

Sita aber war schwanger, was Ram nicht wusste. Überwältigt von Trauer, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit, kniete sie in der Nähe eines Flusses neben einem Ameisenhaufen nieder, weinend und verzweifelt, in der Absicht sich umzubringen. Tief im Inneren des Ameisenhügels vernahm Valmiki die Tränen von Sita und war gerührt. Er war außerstande, stoisch in seiner Meditation zu verbleiben und ihr Leiden zu ignorieren.

 

Die Wände des großen Ameisenhaufens begannen zu bröckeln und abzufallen, den Weisen Valmiki enthüllend, der Sita fragte, warum sie so verzweifelt sei und ihr seine Hilfe anbot. Site fand einen Freund und Vertrauten in Valmiki und erzählte ihm ihre Geschichte. Valmiki schrieb alles nieder und es wurde zu dem, was heute als Ramayana bekannt ist. Valmiki kehrte nicht zurück zu seiner Sadhana, sondern fand ein neues Leben, indem er sich um die schwangere Sita kümmerte und, nachdem sie Zwillinge geboren hatte, für alle sorgte. Behutsam brachte er den Jungen bei, die Ramayana zu rezitieren, so dass sie über ihre königliche Abstammung und die heldenhaften Abenteuer ihrer Eltern Bescheid wussten.

 

Wenn ein Yogi das Leiden eines anderen erkennt, so kann er oder sie es nicht ignorieren. Sogar der Entschluss zu praktizieren, bis das Ziel der Erleuchtung erreicht ist, wird durch Mitgefühl entkräftet. Der Yogi lebt im Dienst am anderen und er lebt für die Befreiung vom Leid. Das ist hehres Sadhana. Das ist Karma Yoga. Der beste Weg, unser eigenes Leben zu erheben, ist alles zu tun, was wir können, um die Leben von anderen zu erheben.

 

Nachdem wir diese Geschichte gehört haben, könnten wir uns fragen, warum Valmiki von Sita’s Leiden zu Mitgefühl bewegt werden konnte, aber vor dem Leiden seiner Frau und Familie davon gelaufen ist. Warum konnte Valmiki nicht bleiben und seiner Familie helfen, die ihn brauchte? Die Antwort liegt darin, dass sich Valmiki’s Geist und Herz nur durch Sadhana – beständige, dauerhafte Praxis – reinigte und zu einem kristallklaren Zustand unerschütterlicher Stabilität (sthira) führte, durch den es ihm möglich wurde, das Leiden von Sita wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Als er noch mit seiner Frau lebte, hatte er noch nicht die Fähigkeiten entwickelt, um seine Ignoranz zu überwinden.

 

Wahrer Dienst kann nur geleistet werden, wenn der Geist frei ist von Erwartungen auf Entschädigung. Diese Vervollkommnung der Handlung stellt sich nach einiger Zeit ein, wenn wir unser Karma aufgelöst haben. Bis dahin agieren wir aus unbewusster Gewohnheit heraus, entsprechend unserer vergangenen Konditionierung. Wenn unsere Handlungen aus einem Ort der Ruhe und Gelassenheit heraus geleitet werden, dann erinnern wir uns, dass wir alle unsere Handlungen dem Göttlichen darbieten, dann erinnern wir uns, dass Gott der höchst Handelnde ist, der durch uns wirksam wird, und dass wir uns vom höchst Handelnden nicht unterscheiden. Atmajnana, das Wissen um das innewohnende Selbst, das sich als das Göttliche offenbart.

 

Die Geschichte von Valmiki ist ein klassischer Epos, ähnlich der Geschichte von Arjuna in der Bhagavad Gita. Der Held beginnt als “normaler Mensch”, gebunden in seinem vergangenen Karma – wie wir alle, ein Opfer der fünf kleshas (Leiden) in Form von avidya (Unwissenheit), asmita (Egoismus), raga (übertriebene Bindung an angenehme Dinge), dvesha (blinde Abneigung) und abhinivesha (Angst vor dem Tod). Er erfährt eine Ruhe, die ihn dazu führt, sich selbst zu prüfen; er sucht Rat von einem befähigten Guru, der ihn in Lehre und Praxis einweist; er praktiziert; und durch seine Sadhana wird sein altes Karma gereinigt und Weisheit erwacht – der Held verwandelt sich in einen jivanmukta – ein erleuchtetes Wesen, das für den Dienst am anderen befähigt ist.

 

-Sharon Gannon

Deutsche Übersetzung © Jivamukti Berlin GmbH (JYB-Lehrer Tina Guthknecht); englische Originalfassung unter https://jivamuktiyoga.com/focus/focus.jsp )

Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team