Ein Auszug aus dem Karfreitagsgottesdienst im Berliner Dom 2011
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Improperien – Anklagen Gottes gegen sein Volk
Wenn Menschen Unbegreifliches widerfährt, klagen sie und fragen: Warum, Gott? Heute werden wir von Gott gefragt: Mein Volk, mein Volk, was habe ich dir getan? Womit habe ich dich betrübt, antworte mir ! Wir setzen uns der Frage Gottes aus:
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Die gleiche Würde aller Menschen habe ich dich gelehrt, Juden und Moslems, Sklaven und Freie, Männer und Frauen sind alle eins bei mir. Du aber hast andere beherrscht.
Ich habe dir die Schöpfung anvertraut. Die Tiere habe ich unter deine Herrschaft gestellt. Du aber quälst ohne Not deine Mitgeschöpfe.
Ich habe dich je und je geliebt und Dir einen Namen gegeben. Du aber trittst dein Geliebtsein mit Füßen.
Mein Volk, mein Volk, was habe ich dir getan? Womit habe ich dich betrübt, antworte mir!
Alle: Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, Heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.
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Fürbitten
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Sieh an die Tiere, unsere Mitgeschöpfe,
deren Leben, deren Angst, deren Qual
für nichts geachtet ist,
deren Wert nur nach ihrem Nutzen berechnet wird.
Für sie und für die Menschen,
deren Herzen abgestumpft und kalt sind
für die Leiden der Kreatur, bitten wir:
Gemeinde: Erbarme dich, Gott.
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E-Mail an die Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann
Liebe Frau Dr. Zimmermann,
ich war heute beim Karfreitagsgottesdienst. Es hat mich sehr beeindruckt, dass Sie bei den Improperien und dann noch einmal im Fürbittengebet die Verantwortung des Menschen für unsere Mitgeschöpfe die Tiere angesprochen haben. Ohne eigene Stimme sind sie wahrscheinlich wirklich die im Moment am stärksten leidenden Wesen unserer modernen Gesellschaft und ihr durch Menschen verursachtes Leiden wahrscheinlich ein Haupthema, womit so viele Menschen auch heute noch “Schuld” auf sich laden. Und dies oft unbewusst, nämlich in Unkenntnis der Qualen, welche die Massentierhaltung verursacht (“denn sie wissen nicht, was sie tun”).
Ist das eine Stelle, die es tatsächlich in der Bibel oder den theologischen Texten gibt? Ich habe mir den Standardtext der Improperien im Internet herausgesucht und da konnte die beeindruckende Referenz an das Leiden der Tiere, welche Sie heute gemacht haben, leider nicht finden.
Ich habe eine Yogaschule in Berlin-Mitte. Und Ahimsa (Gewaltfreiheit) ist die erste Lebensweise, die der Yogi auf dem Weg zur Erleuchtung üben soll. Frei von gedanklicher Gewalt und frei von Handlungen, die Gewalt beinhalten. Was das beinhaltet, kann jeder für sich auslegen. Es geht dabei darum, das für einen jeden persönlich Machbare zu finden. Je bewusster der Yogaübende wird, desto weitreichender wird das in sein normales Leben einfließen. Für mich ist dies z.B. vegan zu leben. Und das versuche ich auch meinen Schülern zu vermitteln. Denn es ist eine Lebensweise, die – zumindest für mich relativ einfach realisierbar – unmittelbar Leid für die Tiere und für unseren Planeten zu lindern helfen kann.
Ich gehe nicht sehr oft in die Kirche, sehe aber immer mehr die Parallelen des kirchlichen Glaubens zu meiner eigenen Lebensweise. Letztlich geht es um dieselbe Sache, nur dass der Weg ein zumindest scheinbar anderer ist.
Was Sie heute über die Tiere gesagt haben, hat mich stark beeindruckt. Weil es tatsächlich so ist, dass der Mensch fast gänzlich ihren natürlichen Lebensraum zerstört hat und die vielen Nutztiere ein Leben unter äußersten Qualen leben. Hinzu kommt noch die Umweltverschmutzung, welche die Massentierhaltung verursacht. Als Argument hört man oft: Aber Jesus hat doch auch Fleisch und Fisch gegessen! Aber geht es denn darum? Und stimmt es überhaupt? Und wenn ja, ist das eine im 21. Jahrhundert noch valide Ausrede, wo das Problem doch eher darin besteht, die vielen Menschen, die es auf der Erde gibt, ausreichend zu ernähren? Geht es nicht vielmehr darum, sich dessen, was man tut, bewusst zu werden. Und die Konsequenzen, die unser Tun für das Ganze hat, immer wieder abzuwägen?
Ich wollte die Improperien und Ihren darin eingebauten Aufruf zu mehr Mitgefühl mit den Tieren gern in eine meiner Yogastunden verwenden. Vielleicht können Sie mir einen Hinweis geben, wo ich es finden kann, oder, wenn sie es selbst verfasst haben, mir vielleicht Ihren Text schicken?
Alles Liebe,
Anja Kühnel
P.S. Ich glaube an ein Paradies auf Erden!
Antwort der Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann
Liebe Frau Kühnel,
verzeihen Sie bitte, dass ich erst heute auf Ihre Mail antworte. Ich bin in den letzten Tagen einfach in Arbeit “untergegangen”. Nun aber: Ich halte den Umgang mit Tieren, insbesondere den sog. Nutztieren in der Massentierhaltung für einen Skandal, den ich immer wieder in meinen Predigten oder sonstigen Beiträgen anspreche. Ich selber kann es kaum ertragen, wenn ich mich damit auseinandersetze, weil das Elend und der Schmerz dieser Tiere so abgrundtief und unsagbar ist. In der Bibel wird immer wieder von den Tieren als Mitgeschöpfen gesprochen, davon, dass der Segen Gottes auf ihnen ruht, dass sie erlöst werden sollen. Im Alten Testament kann man lesen, dass auch die Tiere, die für den Menschen arbeiten, einen “Feiertag” haben sollen, an dem sie – wie der Mensch – ausruhen kann und einfach “sein darf”.
Ich bin auch sicher, wüssten die Menschen, wie das Fleisch “produziert” wird (schon dieses Wort ist ja verdächtig!), das sie essen, sie würden keinen Bissen mehr runter bekommen. Aber man will es lieber nicht so genau wissen…
Also, wir bleiben dran, es muss sich etwas ändern.
In Verbundenheit
Ihre Petra Zimmermann
P.S. ich häng Ihnen der Einfachheit halber den gesamten Gottesdienstablauf an. Da stehen die Improperien drin, die eine alte kirchliche Karfreitagstradition haben, allerdings jetzt neu formuliert.
Translation by – Jivamukti Berlin GmbH Team