Sādhana Pāda

by Sharon Gannon |
February, 2023

tapaḥ-svādhyāyeśvara-praṇidhānāni kriyā-yogaḥ (PYS 2.1)

Du musst von einem brennenden Verlangen angetrieben werden, das Selbst, das nur im gegenwärtigen Moment verfügbar ist, kontinuierlich zu studieren und dich ganz dieser Anstrengung zu widmen – das sind die Handlungen, die unternommen werden müssen, um Yoga zu erreichen.

Kapitel zwei [von von Patanjalis Yoga Sutra] beschreibt die Mittel zur Erlangung eines konzentrierten Geisteszustandes für jemanden, dessen Geist ruhelos und zerstreut ist. Die Einheit und Identität mit dem kosmischen Bewusstsein kann nicht von jemandem erreicht werden, dessen Geist nicht in Selbstdisziplin geübt und gereinigt ist.—Shri Brahmananda Sarasvati

Yoga bedeutet „Einheit mit dem Göttlichen“. Diese Einheit mit Bhagavan kann nicht allein durch Anstrengung erreicht werden – sie geschieht nur durch Gottes Gnade. Alles, was existiert, ist Gott, und alles existiert aufgrund von Gott. In einem absoluten Sinn ist nichts von Bhagavan getrennt. Alles ist das göttliche Spiel Gottes. Wenn man die Befreiung von saṁsāra erlangt, dann geschieht das nur als Geschenk von Bhagavan. Es ist Gottes Sache, zu geben oder nicht zu geben.

Es gibt zwei yogische Wege (margas): Maryada marga, „der gesetzmäßige Weg“, auf dem der:die Yogi:ni Disziplin und Selbstanstrengung anwendet, um zum Ziel zu gelangen, und pushti marga, „der anmutige Weg“, auf dem sich der:die Yogi:ni dem Willen Gottes hingibt. Beide Wege können den:die Praktizierende:n nur bis zum Tor der Befreiung bringen; es ist Bhagavan, der den:die Anhänger:in letztendlich und anmutig über die letzte Schwelle trägt. Yoga kann man nicht „machen“. Yoga ist das, was du wirklich bist. Yoga kann nicht allein durch Anstrengung erlangt werden – Yoga entsteht auf anmutige Weise. Anmut kann jedoch erst entstehen, nachdem der Geist durch viel disziplinierte Anstrengung gereinigt wurde. Du tust dein Bestes und lässt Gott das Übrige tun.

Patanjali eröffnet seinen Diskurs über Yoga, indem er im Samādhi Pāda, dem ersten Kapitel des Yoga Sutra, feststellt, dass Yoga mühelos auftritt, wenn der Geist gereinigt und konzentriert ist: yogaś chitta-vṛitti-nirodhaḥ (PYS 1.2): Wenn du aufhörst, dich mit deinen Gedanken, den Schwankungen des Geistes, zu identifizieren, dann ist Yoga, die Identität mit dem Selbst, Bhagavan, das ist samādhi. Nach Patanjali ist die direkteste Methode, nirodhaḥ oder Yoga zu erreichen, die vollständige Hingabe an Gott. Nirodhaḥ bedeutet „in Gott versunken sein“. Patanjali erläutert seine einstufige Methode zur Erlangung von Yoga im ersten Kapitel als Īśvara-praṇidhānād vā (PYS 1.23) an: Indem du dein Leben und deine Identität Gott gibst, erlangst du die Identität Gottes. Das heißt, du lernst Gott kennen. Einige Seelen sind aufgrund früherer Karmas vielleicht in der Lage, einen Weg der totalen Hingabe zu beschreiten, wie er im Samādhi Pāda vorgeschlagen wird. Indem man „loslässt und Gott lässt“, etwa durch anmutige sādhanas wie Satsang, Kirtan, Japa oder Seva, kann man ein Leben der Hingabe führen und bhava, die berauschte Stimmung der Liebe zum Göttlichen, kultivieren.

Doch der anmutige Pfad ist nicht für jede:n geeignet. Im zweiten Kapitel, dem Sādhana Pāda, dem Kapitel über die Praxis, beschreibt Patanjali eine dreistufige Methode: tapaḥ-svādhyāyeśvara-praṇidhānāni kriyā-yogaḥ (PYS 2.1). Hier gibt er die praktischen Mittel zur Reinigung und Konzentration des Geistes an, sodass nirodhaḥ auch für diejenigen möglich ist, die sich noch nicht ganz dem Herrn hingeben können. Manche haben das Gefühl, etwas „tun“ zu müssen, und manche Gemüter sind ruhelos, zweifelnd und lassen sich leicht ablenken. Diese Menschen können im Sādhana Pāda Trost finden. Patanjali hat Mitgefühl mit den Seelen, die nicht in der Lage sind, sich allein der göttlichen Gnade hinzugeben, und stellt ein ganzes Kapitel zur Verfügung, das detailliertere Sādhana beschreibt.

Das Kapitel beginnt damit, dass Patanjali dem:der angehenden Yogi:ni nahelegt, dass Anstrengung nicht nur wichtig ist, sondern dass es sich um eine unablässige Anstrengung handeln muss. Tapas bedeutet „brennen“. Wir müssen ein leidenschaftliches, brennendes Verlangen haben, uns jeder Disziplin zu unterziehen, die notwendig ist, um unsere Gedanken, Worte und Taten zu reinigen. Wenn wir alle selbstsüchtigen, egoistischen oder eigennützigen Wünsche loslassen, dann können wir uns auf svādhyāya, das Studium des Selbst, konzentrieren. Svādhyāya bedeutet „sich unter allen Umständen ohne jede Ablenkung auf das Höchste Selbst konzentrieren“. Etwas zu studieren bedeutet, ihm unsere unablässige Aufmerksamkeit zu schenken. Diese beiden kriyas (tapas und svādhyāya) werden uns reinigen und befähigen, uns Gott hinzugeben. Dies wird ausgedrückt als Īśvara-praṇidhānā, dem dritten Teil des dreistufigen Systems, das als kriya yoga bekannt ist.

Anschließend weist Patanjali auf die Hindernisse hin, die dem:r Praktizierenden Schwierigkeiten bereiten können, sich an den dreistufigen Plan zu halten. Er listet diese Kleshas auf und beschreibt sie in Kombination mit den ihnen zugrunde liegenden Karmas, die die Hindernisse entstehen lassen. Obwohl er uns bereits einen Ein-Stufen- und einen dreistufigen Plan gegeben hat, bietet Patanjali aus einer scheinbar unermüdlichen Geduld heraus einen Acht-Schritte-Plan (Ashtanga-Yoga) für diejenigen von uns an, die noch mehr Anleitung brauchen, um sich von dem duḥkha (Leiden) zu befreien, das uns bindet. Da viele von uns das Gefühl haben, dass unser Unglücklichsein durch die Handlungen Anderer verursacht wird, beginnt der Acht-Stufen-Plan mit den Yamas (den Dont‘s). Die fünf Yamas befassen sich mit unseren Beziehungen zu Anderen. Das erste Yama besagt, dass wir in der Interaktion mit Anderen darauf achten sollten, ihnen keinen Schaden zuzufügen, sondern ihnen mit Freundlichkeit begegnen sollten, solange wir sie und nicht Gott wahrnehmen. Die anderen Yamas besagen, dass wir Andere nicht anlügen, nicht bestehlen, sie nicht sexuell missbrauchen und nicht horten (sondern vielmehr das, was wir haben, mit Anderen teilen) sollen.

Die Niyamas (die Do‘s) sind die zweite Stufe des achtgliedrigen Systems. Die Niyamas sind fünf Praktiken, die auf unsere persönliche Welt ausgerichtet sind. Es handelt sich um śauca (Sauberkeit), santoṣa (Zufriedenheit), tapas (Disziplin), svādhyāya (Studium des Selbst) und Īśvara-praṇidhānā (Hingabe an Gott). Das dritte Glied, āsana, befasst sich mit unserer physischen Präsenz in der Welt. Patanjali schlägt vor, dass unsere Beziehung zur Erde von gegenseitigem Nutzen sein sollte – sie sollte stabil und freudvoll sein. Das vierte Glied konzentriert sich auf die Lebenskraft, prāṇa – die unsichtbare Kraft, die alles Leben durchdringt. Wenn wir lernen, den Fluss von prāṇa in unserem eigenen Körper zu lenken, lernen wir, unseren eigenen Geist zu kontrollieren, und beginnen so, unseren Geist von allem zu befreien, was ihn von der göttlichen Ekstase abhalten könnte. Das fünfte Element, pratyāhāra, befasst sich mit der Disziplin, die damit verbunden ist, die Sinne vom äußeren Verlangen wegzulenken und unsere Aufmerksamkeit nach innen zu lenken, hin zu Abhängigkeit vom göttlichen Selbst. Durch diese Praktiken wird der Inhalt unseres Geistes mehr und mehr gereinigt und bereitet uns auf die mehr nach innen gerichteten, subtilen, esoterischen, meditativen Praktiken vor, die die letzten drei Stufen des achtgliedrigen Pfads umfassen.

Sādhana Pāda, das zweite Kapitel, führt alle acht Glieder auf, beschreibt aber nur die ersten fünf. Sādhana Pāda schließt mit der Praxis des pratyāhāra. Patanjali beginnt anschließend das dritte Kapitel (Vibhuti Pāda) mit Beschreibungen der letzten drei Schritte: dhāraṇā (Konzentration), dhyānā (Meditation) und samādhi (Ekstase). Meistert der:die Yogi:ni die verschiedenen im Sādhana Pāda beschriebenen Praktiken, hat er:sie einen Geist erlangt, der in der Lage ist, Ablenkungen zu widerstehen. Er:sie kann die Realität erforschen und Wissen darüber erlangen. Er:sie ist bereit, die letzten drei Schritte in Angriff zu nehmen und schließlich die Praxis des saṁyamaḥ (eine Kombination der drei) zu ergreifen. Das ist Gegenstand des dritten pāda.

Das vierte und letzte Kapitel (Kaivalya Pāda) schließt mit Beschreibungen des erhabenen Zustands von Yoga und erläutert, wie die im Sādhana Pāda beschriebenen mühsamen Praktiken, die Vorstellungen von Handeln und alles, was den:die Yogi:ni von Bhagavan getrennt zu halten schien, schließlich in Gnade aufgelöst wird.

 

Essay taken from Sharon Gannon’s Book Eternity is Happening Now

 

Teaching Tips

von Clare Nicholls

  • Erkläre den Schüler:innen das Konzept von sādhana. Was ist eine „Praxis“? Wie erhältst du als Lehrer:in deine sādhana? Vielleicht konzentrierst du dich darauf, wie und was du praktizierst und teilst dies mit deinen Schüler:innen.
  • Erforsche die Dichotomie zwischen Anstrengung und Anmut. In einer āsana-Klasse könntest du beispielsweise zwischen schnellen, starken Sequenzen und viel langsameren, erholsamen Sequenzen wechseln. So zeigst du, wie Leichtigkeit ganz spontan auftreten kann, nachdem die Anstrengung maximiert wurde.
  • Praxis erfordert Praxis. Erforsche, was uns vom Üben abhält. Erwähne die kleshas und wie sie unsere Praxis behindern können, z. B.: avidyā bedeutet, dass wir denken, dass wir nicht üben müssen oder dass es keinen Sinn ergibt, zu üben; āsmita bedeutet, dass wir denken, dass wir keine:n Lehrer:in brauchen, der:die uns sagt, wie wir üben sollen; rāga und dveṣā schreiben uns vor, was wir zu praktizieren entscheiden; und ābiniveśāḥ hält uns vom Üben ab, aus Angst, uns selbst zu verlieren.
    Lade die Schüler:innen ein, darüber nachzudenken, warum sie wirklich zum Unterricht kommen. Was wünschen sie sich von ihrer Praxis?
  • Erforsche die Idee von Tapas in Bezug auf sādhana. Muss eine Praxis körperlich stark sein, um Tapas zu sein? Oder könnte, wenn wir viel Tamas in unserer Haltung spüren, allein die bewusste Anstrengung zu praktizieren, eine Art Tapas sein?
  • Disziplin wird durch Wiederholung einfacher (erwähne in diesem Zusammenhang auch, dass durch Anstrengung Anmut entsteht):
    a) Unterrichte eine einfache Sequenz im Laufe des Monats immer gleich (z. B. die Magic 6, Surya Namaskar A oder Jivamukti Surya Namaskar) und ermutige die Schüler:innen, als Beispiel für eine āsana-basierte Disziplin jeden Morgen zu üben.
    b) Unterrichte die Jivamukti-Mediation in jeder Klasse und ermutige die Schüler:innen, sie zu Hause als Beispiel für eine auf Meditation basierende Disziplin zu praktizieren.
    c) Schlage die tägliche Lektüre eines spirituellen Textes als eine Form der Disziplin vor.
    d) Stelle die Praxis der Yamas als eine geistige und praktische Disziplin vor. Der Übergang von der Schuldzuweisung an Andere zur Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln ist ebenfalls eine Art von Praxis.
  • Ermutige die Schüler:innen (und dich selbst), in diesem Monat ein sādhana-Tagebuch zu führen. Überlege am Ende des Monats, welche Unterschiede festzustellen sind.
  • Beschreibe svādhyāya und erwäge die Praxis von neti neti, um in Erfahrung zu bringen, was das Selbst nicht ist, und zu versuchen, darüber nachzudenken, was das Selbst ist. Thematisiere, wie das Studium heiliger Texte auf dieser Suche helfen kann. Biete eventuell nach dem Unterricht eine Arbeitsgruppe an, wenn du Raum und Zeit dafür hast, einen Text genauer zu studieren.
  • Sprich mittels der Jivamukti-Meditation in drei Schritten über das Loslassen und die Hingabe an Īśvara. Beobachte, wie sich anfangs Widerstand regt, der jedoch mit zunehmender Praxis kleiner wird.

Englisches Original: Sharon Gannon
Deutsche Übersetzung: Judith Quijano (Instagram: @quijanolanguages)