Die fünf Hindernisse – (German)

by Janka Oeljeschlager and Marie Claussen |
August, 2024

Die fünf Leiden (Kleshas) sind:

  1. Avidya – Unwissenheit über das eigene Selbst
  2. Asmita – Egoismus
  3. Raga – Verlangen, Anziehung und Anhaftung
  4. Dvesha – Abneigung oder Hass
  5. Abhinivesha – Instinktive Angst vor dem Tod

Diese fünf Kleshas sind die Hauptursache für Leid und Elend.

Wir wollen glücklich sein. Wir wollen, dass unser Leben etwas bedeutet. Dennoch scheint das Glück schwer fassbar und weit entfernt zu sein. Manchmal ist es nicht verfügbar, manchmal ist es einfach unerreichbar. Und wenn wir es gefunden haben, stellen wir fest, wie schnell wir es wieder verlieren können. Unser Weg zum ultimativen Glück ist in der Regel mit nörgelnden Stimmen von Selbstzweifeln und Ängsten gepflastert. Es gibt Momente, in denen diese Stimmen kurzzeitig verstummen, andere Male quälen sie uns. Trotz unseres Strebens nach Glück finden wir uns in einem mehr oder weniger großen Maß in Unzufriedenheit oder sogar Verzweiflung wieder.

Warum sind das Glück und die Erfüllung, die wir suchen, so schwer zu erreichen? Oder warum ist es so schwierig, die Zufriedenheit zu erreichen, nach der wir uns sehnen?

Die Yoga-Philosophie, in diesem Fall Patanjalis Yoga-Sutra, beantwortet diese Frage mit einem Wort: Kleshas. Klesha ist eine Art von Agonie, die in unserem eigenen Wesen liegt. Ehrgeiz und Streben nach Erfolg bedeuten Klesha. Die Kleshas sind der Rahmen für das Verständnis der Diskrepanz zwischen unseren Wünschen und unseren gelebten Erfahrungen. Sie definieren die Anatomie dessen, was uns bindet, und sie halten uns von dem ab, wonach wir uns sehnen. Die Ursache für diesen Konflikt ist ein grundlegendes Missverständnis darüber, wer wir wirklich sind. Dieses Missverständnis führt zu all dem anderen Leid in uns und um uns herum und es wird wahrscheinlich länger als ein ganzes Leben brauchen, bis es für uns verständlich wird.

Avidya, Unwissenheit, ist die Grundursache von asmita, raga, dvesha und abhinivesha. „Die Unwissenheit ist das Feld für die anderen [Kleshas], die nach ihr genannt werden, ob sie nun schlummern, schwach sind, abgefangen oder aufrechterhalten werden.“ (frei übersetzt aus dem englischen Original nach Sri Swami Satchidananda). Avidya ist die Mutter von allem. Es bezieht sich auf das grundlegende Missverständnis unserer wahren Natur und der Natur der Realität. Aber was ist real? Die Realität wird umgangssprachlich als die Welt der von Menschen geschaffenen materiellen Dinge, Zustände und Ereignisse bezeichnet – alles Umstände, die sich verändern. Im Bereich der Yoga-Philosophie steht Brahman (und damit Atman) für die einzigartige, unveränderliche Realität, die Zeit und Vergänglichkeit transzendiert. „Avidya ist die Verwechslung des Nicht-Ewigen, Unreinen, Bösen und Noumenon mit dem Ewigen, Reinen, Guten und Atman.“ (frei übersetzt aus dem englischen Original nach Swami Satyananda Saraswati). Swami Satyananda Saraswati gibt uns folgendes Beispiel: Wenn wir ein Seil mit einer Schlange verwechseln, ist die Form unseres Bewusstseins zu diesem Zeitpunkt Avidya. Wenn man in der Lage ist, Avidya zu kontrollieren, wird man alle anderen Kleshas leicht kontrollieren können. Das ist schneller gesagt als getan. Aus Asmita, oder Ego, entsteht die Illusion des Getrenntseins, die durch Avidya erzeugt wird. Das Bewusstsein des „Ich bin“ ist mit der Existenz, mit dem Körper, den Handlungen und dem Geist vermischt. Es ist das Gefühl des „Ich“ oder der Individualität, das unsere Wünsche, Ängste und Konflikte befeuert. Die wahre Natur unseres Seins nicht zu verstehen, bedeutet, das Nicht-Selbst mit dem Selbst zu verwechseln. Es bedeutet, das Unreine mit dem Reinen zu verwechseln, das Unbeständige mit dem Ewigen und Glück mit Schmerz. Das Ego sucht nach Bestätigung, Anerkennung und Kontrolle und treibt uns an, nach äußeren Erfolgen und Identitäten zu streben. Das Konzept, die Identifikation mit dem Körper und dem höheren Bewusstsein miteinander zu verbinden, wird asmita genannt.

Raga bezieht sich auf die Anhaftung oder den Wunsch nach angenehmen Erfahrungen, Objekten, Beziehungen oder Ergebnissen. Wir werden von dem Gedanken getrieben, dass Erfüllung in äußeren Quellen zu finden ist, was uns dazu bringt, zwanghaft nach Vergnügen zu suchen und Unbehagen zu vermeiden. Dvesha oder Abneigung ist die Kehrseite der Anhaftung und entsteht aus unserem Widerstand gegen Schmerz, Unbehagen und unerwünschte Erfahrungen. Diese Abneigung wird von Furcht, Wut und Verurteilung angetrieben, die Trennung und Konflikte in uns selbst und mit anderen schaffen. Patanjali betont, wie wichtig es ist, angesichts von Dvesha Gleichmut zu kultivieren und sowohl Freude als auch Schmerz als Teil unserer Erfahrung zu akzeptieren. Durch die Praxis des Mitgefühls gegenüber allen Wesen, durch Vergebung und Einfühlungsvermögen können wir die Dualität von Vorlieben und Abneigungen überwinden, das Leben in seiner Gesamtheit begrüßen und selbst inmitten von Schwierigkeiten Frieden finden. Abhinivesha ist die instinktive Angst vor dem Tod oder dem Unbekannten, die im Überlebensinstinkt verwurzelt ist. Abinivesha manifestiert sich als Festhalten am Leben und als Widerstand gegen Veränderung oder Vergänglichkeit, geht über den physischen Tod hinaus und schließt die Furcht vor dem Verlust der eigenen Identität, der Beziehungen oder des Besitzes ein.
Zu verstehen, was uns bindet, ist auch das, was uns informiert. Wissen bringt Licht ins Dunkel. Die Kleshas bilden eine Erzählung, die Konditionierung des Denkens und des Glaubens, die unsichtbar ist, weil sie als Norm angenommen wird. Sie schränken unser Glück ein, blockieren unseren Verstand und fördern genau das Leiden, das wir so sehr zu vermeiden versuchen. Wenn wir wissen, was uns im Weg steht, können wir aufräumen und die Fülle unserer Fähigkeiten erleben. Daher erscheint es hilfreich, die fünf Kleshas so gut wie möglich zu verstehen, sie verständlich zu machen und dann für uns selbst einen Weg zu finden, sie auf unserem spirituellen Lebensweg so gut wie möglich zu entfernen oder zu minimieren.

Teaching Tips

Durch das Erkennen und Überwinden der geistigen Leiden können Menschen Befreiung (Moksha) erlangen und wahren inneren Frieden und Glück erfahren. Hier sind einige Tipps, wie wir die Kleshas auf bestmögliche Weise reduzieren können:

  • Die Überwindung von Avidya umfasst Selbsterforschung durch Praktiken wie Meditation und das Studium heiliger Schriften, um Weisheit und Klarheit zu erlangen. Die Kultivierung des Bewusstseins hilft, Denkmuster zu erkennen und Unwissenheit zu vertreiben, während eine regelmäßige spirituelle Praxis den inneren Frieden fördert.
  • Das Bewusstsein zu beobachten ermöglicht es, den Geist ohne Anhaftung zu beobachten, was zur Einsicht in die vergängliche Natur des Egos führt. Selbstloses Dienen und die Kultivierung von Mitgefühl lösen die Grenzen des Egos auf und fördern die Einheit.
  • Um Raga oder Anhaftung zu reduzieren, erkenne die Vergänglichkeit von Vergnügungen, übe dich in Achtsamkeit, Losgelöstheit und Akzeptanz der Gegenwart und befreie dich von den Zyklen des Verlangens, um dauerhafte Zufriedenheit zu erlangen. Raga entspringt dem Wunsch nach äußeren Vergnügungen, was zu Unzufriedenheit und einer Illusion von Kontrolle führt. Die Erfüllung von Wünschen bringt vorübergehende Befriedigung, aber sie ist flüchtig und behindert das geistige Wachstum.
  • Dvesha entsteht aus der Angst vor Veränderung oder Ungewissheit und dem Widerstand gegen Störungen der Stabilität. Mitgefühl mit sich selbst und anderen hilft, Dvesha zu mildern und fördert Akzeptanz und Gleichmut gegenüber allen Erfahrungen.
  • Abhinivesha zu reduzieren bedeutet, die Unbeständigkeit zu akzeptieren und die Unvermeidlichkeit des Todes anzunehmen, die Angst zu überwinden und inmitten der Ungewissheit des Lebens Frieden zu finden.

Weitere Teaching Tips

  • Unterrichte die Segensmeditation, die Sharon Gannon in ihrem Buch „Mein Magischer Morgen“ (S. 19 f.) beschreibt, um Gefühle der Liebe, des Mitgefühls und des guten Willens gegenüber anderen zu kultivieren.
  • Unterrichte die Loslassen-Übung von Sharon Gannon aus ihrem Buch „Mein Magischer Morgen“ (S. 86 f.).
  • Singe das Ganesha-Mantra und erwähne, dass es uns von Hindernissen befreien und Blockaden beseitigen soll. Es gibt uns Kraft für neue Unternehmungen.
    ॐ गम गणपतये नम
    Om Gam Ganapataye Namaha
    Verehrung von Lord Ganesha, dem Entferner von Hindernissen und Gott aller glücklichen Anfänge.
  • Optional kannst du auch das PYS 2.10 nutzen:
    ते प्रतिप्रसवहेयाः सूक्ष्माः ॥१०॥
    te pratiprasava-heyāḥ sūkṣmāḥ
    Die fünf Leiden (kleshas) in ihrer subtilen Form sind wieder in ihren kausalen Zustand zurückzuführen.
    Patanjali erklärt, dass diese subtilen inneren schmerzhaften Tendenzen nur vermieden werden können, indem man sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückführt, aufgelöst in die Urmaterie. Achte auf subtile Anzeichen für deine inneren Leidenstendenzen (Kleshas). Es ist von entscheidender Bedeutung, diese frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen, sobald sie auftreten, um zu verhindern, dass sie sich ausweiten. Indem du über diese Prägungen meditierst, bringst du sie ans Licht. Man kann sie auf diese Weise nicht zerstören, aber man kann sie gut sehen und verstehen und die Kontrolle darüber erlangen, ob sie in Aktion treten sollen oder nicht. Hier wird außerdem deutlich, dass das Ego die Grundlage für alle hinderlichen Gedanken ist.

Englisches Original: Janka & Marie
Deutsche Übersetzung: Judith Quijano