Flügel des Lichts, Flug der Freiheit – (German)

by Mayela Gonzalez |
July, 2024

Mögen alle glücklich sein. Mögen alle gesund sein. Mögen sich alle um das Wohlergehen anderer bemühen. Möge niemand Leid erfahren.

Übersetzung von Manorama

Es waren einmal zwei Vögel, die auf den Ästen eines Baumes saßen. Der Vogel auf dem oberen Ast blieb ruhig und gelassen. Währenddessen wechselte der Vogel auf dem unteren Ast ständig von einem Ast zum anderen, labte sich an den Früchten des Baumes und erlebte Momente des Glücks und des Unglücks.

Der untere Vogel beneidete den oberen Vogel um seine Ruhe und versuchte, diese nachzuahmen. Doch die Versuchung, die Früchte des Baumes zu genießen, zerstörte schnell jede Hoffnung auf Ruhe.

Gelegentlich erstrahlten und glänzten die Federn des oberen Vogels im Sonnenlicht. Dann erreichte die Reflexion des Lichts den unteren Vogel und bewirkte eine wundersame Verwandlung. Der Drang, sich an den Früchten zu ergötzen, und das Schwanken zwischen Freude und Trauer lösten sich auf wie ein flüchtiger Traum. In diesem Moment fühlte sich der untere Vogel wie sein friedlicher Artgenosse oben, der Gelassenheit und Ruhe verkörperte und eins mit dem Ganzen war. Geschichte aus der Muṇḍaka Upaniṣad.
Der Vogel auf dem unteren Zweig repräsentiert den jīva, die individuelle Seele. Der anfänglich von Begierden getriebene jīva bewegt sich unaufhörlich und sucht seine Erfüllung in den vergänglichen Freuden der Welt. Durch eine Reise der Selbstentdeckung und des spirituellen Erwachens erlangt der Vogel jedoch vollständige Erkenntnis und erreicht Kaivalya, indem er sich von den Fesseln der irdischen Anhaftungen befreit. In diesem befreiten Zustand wird der Vogel ein jīvanmukta, in direkter Verbindung mit paramātman, dem ICH-BIN, dem Gott im Innern, und verkörpert ultimativen Frieden und Transzendenz.

Freiheit entsteht, wenn die Gedanken verblassen und so dem gegenwärtigen Moment der Vorrang in unserer Erfahrung gegeben wird. In dem Maße, in dem das Verlangen abnimmt, nehmen wir zunehmend die Rolle des Beobachters ein und gehen in den Bereich des Verstehens über. Durch diese Entwicklung lernen wir das große Geschenk, das uns das Leben macht, zutiefst zu schätzen. Die Vritti-Aktivität kann unser wahres Wesen verdunkeln, aber indem wir Momente des Friedens und der Freude prüfen, bekommen wir einen Blick auf das wahre Selbst, Sat-chit-ānanda, das Wahrheit-Wissen-Glückseligkeit ist. Dieser Blick auf unser wahres Selbst kann sich in Form eines treuen Vierbeiners, eines Blicks in die Sterne, eines Lächelns, eines Lauschens des Regens oder der Berührung durch die Sonne zeigen, wie bei dem Vogel auf dem unteren Ast. So erfahren wir eine wunderbare Veränderung – die Offenbarung des ātman.

Durch Erfahrungen lernen wir, das Wesen der Freiheit zu verstehen und ihr zu vertrauen. Dann wird die Abwesenheit von Gedanken zu einer beständigen Präsenz in unserem Leben. Wie Sri Patañjali in sutra 1.14 Abhyāsa rät, „wird die meditative Praxis über einen langen Zeitraum hinweg fest und natürlich etabliert, wenn man ohne Unterbrechung und mit konstanter Anstrengung, ehrfürchtiger und hingebungsvoller Energie und großer Liebe seinen Geist auf das Selbst, das ICH-BIN, fixiert“. So kommentiert es Sri Brahmananda Sarasvati (freie Übersetzung aus dem Englischen).

Bei stetiger Übung über einen langen Zeitraum hinweg wirst du feststellen, dass die Gegenwart ewig zu sein scheint.
Yogapraktiken wurden entwickelt, um uns dabei zu helfen, diese Freiheit zu entdecken und ein Gleichgewicht zwischen dem Leben in unserem Geist und der Unmittelbarkeit unserer Erfahrungen hier und jetzt herzustellen. Durch Yogapraktiken verbinden wir uns mit dem absoluten Bewusstseinsfeld. Wie ein Fluss haben wir die Wahl, in Richtung „unseres Kopfes“ zu fließen und die Illusion der Trennung, also māyā zu verstärken, oder in den weiten Ozean des Bewusstseins zu verschmelzen, die Einheit des Seins zu erfahren und ein tiefes Verständnis für die Verbundenheit aller Dinge zu erlangen.

Teaching Tips

  • Singe im Unterricht das śāntiḥ mantra ‘Sarve Bhavantu’. Durch das Chanten von śāntiḥ-Mantras zapfen wir die kollektiven Energien der Liebe und Verbundenheit an und strahlen sie in die Welt hinaus. Lerne den Chant auf PracticeJivamukti.com
  • Frage die Schüler:innen, was Freiheit für sie bedeutet.
  • Gehe im Gespräch auf Sharon Gannons Kommentar zu PYS 4.34 ein.

Die Gunas, die nicht mehr dem Selbst dienen müssen, da sie zu ihrer Quelle zurückgekehrt sind, werden Kaivalya (Befreiung, Freiheit von Selbst-Missverständnissen) genannt. Oder das Verweilen in der eigenen wahren Essenz, die die Kraft des Bewusstseins (als Beobachter) ist.

~ Übersetzung von Manorama

Sind wir im Zustand der Selbstverwirklichung (kaivalyam), erscheint das aus der Perspektive einer Einzelperson wie eine große Errungenschaft, aber aus der Sicht des Selbst wie ein Nicht-Ereignis. All die Höhen und Tiefen, Kämpfe und Freuden der unzähligen Leben existieren nur auf der endlichen Ebene. Für das ewige, allgegenwärtige Selbst (das für immer frei ist) ist die Erleuchtung ein Nichtereignis, so, als ob es nie eine Nicht-Erleuchtung gegeben hätte. Es ist alles Licht!

  • Erforsche Texte, die zeigen, wie Verbindung mit Freiheit zusammenhängt.
  • Setze dich im Unterricht mit dem Konzept der Gunas auseinander und erforsche deren Zusammenhang mit dem Fokus dieses Monats.
  • Betone die Kultivierung des Gleichgewichts sowohl in deiner Asanapraxis als auch im Unterricht.
  • Unterrichte Vogel-Asanas, um das Gefühl des Fliegens im Körper hervorzurufen und ein Gefühl von Freiheit und Verbundenheit zu fördern.
  • Integriere die klassische Sequenz „Des Adlers Flug“ („Eagle’s Flight“) aus dem Buch „Jivamukti Yoga: Yoga der Befreiung: das Praxisbuch des Jivamukti Yoga“ (S. 116-117) in deinem Unterricht.
  • Ermutige die Schüler:innen, morgens und abends zu Hause zu meditieren, auch wenn es nur 5 Minuten pro Mal sind. Diese Praxis wird ihnen helfen, das Gefühl der Verbindung mit dem Selbst über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
  • Und zu guter Letzt und wie unsere Lehrerin Padma-ji (Sharon Gannon) uns gelehrt hat: Vergiss nicht, die Vögel zu füttern!