Dieser Vers stammt aus der „Pandava Gita“, einer Sammlung von Gedichten an Gott in der Gestalt von Krishna. Er wird oft auch an den Guru gechantet, da Gott und Guru im Wesentlichen dasselbe sind. In der indischen Tradition ist der erste und vielleicht wichtigste Guru deine Mutter – mata – und der zweite Guru dein Vater – pita. Das zu verstehen ist sehr wichtig, um die Lehren, die sie dir gegeben haben, empfangen zu können.
Ein weiser Mann – der verstorbene Ram Dass – sagte einmal diese berühmten Worte: „Wenn du glaubst, du seist erleuchtet, dann verbringe eine Woche mit deiner Familie!“. Ich glaube, der Grund, warum dieses Zitat so populär geworden ist, liegt darin, dass die meisten von uns ihn gut nachvollziehen können. Es sind unsere Beziehungen zu Anderen, besonders zu jenen, die uns nahe stehen, die unseren Gleichmut und unseren Gemütsfrieden oft am meisten stören. Wir praktizieren Asana, wir meditieren, wir singen zum Göttlichen, wir üben uns in Liebe und Mitgefühl – und doch scheinen manche Menschen immer einen Weg zu finden, uns auf die Palme zu bringen. Was tun?
Ram Dass verbrachte einen Großteil seines Lebens damit, Wege zu erforschen, wie eine spirituelle Praxis menschliche Beziehungen durchdringen kann und hielt zahlreiche Workshops und Vorträge darüber. Er war der Meinung, dass Themen, die mit Beziehungen aller Art zusammenhängen, viel Platz in unserem Geist einnehmen und eines der Haupthindernisse für die spirituelle Entwicklung sein können, weshalb sie nicht umgangen oder als Teil der Praxis vernachlässigt werden sollten. Er sagte: „Du kannst deine Beziehung zu deinem Yoga machen, doch das wird das schwerste Yoga sein, das du jemals machen wirst.“
In Vers II.46 des Yoga Sutra finden wir den folgenden Rat oder die Definition von Yoga Asana: „sthira-sukham āsanam“. Er bedeutet übersetzt „stabiler und freudvoller Sitz“. Traditionell wurde asana als eine sitzende Haltung für die Meditationspraxis verstanden, doch im Laufe der Zeit wurde eine Vielzahl von Asanas praktiziert und diese nahmen – im wahrsten Sinne des Wortes – Gestalt an! So werden im mittelalterlichen Text der Hatha Yoga Pradipika 15 Asanas erwähnt und im Text der Joga Pradipika aus dem 18. Jahrhundert schon 84. Parallel zu dieser wachsenden Zahl und Vielfalt von Asanas setzte sich die Vorstellung durch, dass Asanas
nicht nur einen spirituellen, sondern auch einen körperlichen Nutzen bringen. Darin sind sich auch die meisten Lehrenden unserer Zeit einig.
Asana bedeutet Sitz. Ein Sitz ist eine Art und Weise, wie wir unseren Körper auf der Erde platzieren, oder wir könnten sagen, eine Beziehung zwischen unserem Körper und der Erde, was uns zu der Übersetzung von Sutra II.46 im Jivamukti Yoga Chantbook führt: „Die Verbindung zur Erde sollte stabil und freudvoll sein“. Was ist die Erde? Sie ist der Boden unter unseren Füßen und das, was uns trägt, aber sie ist im weiteren Sinne auch jedes Wesen, mit dem wir diese Erde teilen. Wie oft sind wir in unseren Beziehungen zu anderen Lebewesen wirklich beständig und fühlen uns wohl? Wie können wir die Beständigkeit und Freude vertiefen? Nun, wir könnten damit beginnen, Ram Dass’ Rat zu befolgen und unsere Yoga Asana-Praxis zu mehr als nur einer körperlichen Praxis zu machen, indem wir sie als einen Weg sehen, unsere Beziehungen zu verbessern. In der Jivamukti Yoga-Methode nennen wir dies „Asana als Weg zur Vervollkommnung unserer Beziehungen zu Anderen“. Auf diese Weise wird Yoga weniger etwas, das wir „tun“, sondern mehr etwas, das wir „sind“.
Das Wort „Yoga“, yuj, Vereinigung, impliziert, dass etwas getrennt wurde. Die wahre Essenz der Vereinigung, von der Yoga spricht, ist Liebe. Jeder Austausch von Liebe erfordert zwei getrennte Wesen. Der große indische Weise Chaitanya Mahaprabhu beschrieb dies mit dem Spruch „achintya-bhedabheda-tattva“: Eins und gleichzeitig doch verschieden. Das ist Yoga – eine Beziehung. Es spielt keine Rolle, wie viele Stunden du Yoga praktizierst oder allein meditierst – es ist die Einheit der Beziehung zu Anderen, die dich und die Welt letztendlich heilen wird. Yoga lehrt uns, dass Isolation und Trennung die Ursache des Leidens sind, und dass Verbindung die Essenz der Heilung ist. Diese Verbindung, von der die Rede ist, ist nicht nur eins intellektuelles Konzept, sondern vielmehr eine erfahrbare Realität, eine erstaunliche Erfahrung des Lebens selbst.
Was würde geschehen, wenn wir unserer Yogapraxis keine Zeit, Aufmerksamkeit und Mühe widmen würden? Nichts. Wir würden dieselben bleiben. Mit Beziehungen ist es nicht anders. Sie erfordern Hingabe, Leidenschaft und Disziplin, um zu wachsen und sich mit der Zeit zu entfalten. Jede Yogapraxis kann eine Beziehungspraxis sein. Der Autor und Meditationslehrer Gregory Kramer erklärt es so: „Es gibt die Sitzmeditation. Es gibt die Gehmeditation. Warum gibt es nicht auch die Meditation des Zuhörens und Sprechens? Wäre es nicht vernünftig, Achtsamkeit in Beziehungen zu üben und so besser darin zu werden?”
Das Ziel des Yoga ist Erleuchtung. Was im erleuchteten Zustand erkannt wird, ist „die Einheit des Seins“, dass wir alle eins sind und dass wir dasselbe Bewusstsein teilen. Was also tun, wenn wir noch nicht so weit sind? Weiter üben. Oder, wie mein liebster Lehrer David-ji sagt: „Wenn du Andere noch siehst, sei nett zu ihnen.“ Diese scheinbar Anderen stehen dir schließlich nicht IM Weg, sie SIND der Weg.