Auf Deutsch: Abenteuer Leben

by Tone Haugland |
July, 2021

असतो मा सद्ग गमय
तमसो मा ज्योतिर् र्गमय
मृत्योर् र्मा अमृतं गमय ॥

Oṁ
asato mā sad-gamaya
tamaso mā jyotir gamaya
mṛtyor mā amṛtaṁ gamaya

Om. Führe mich vom Unwirklichen zum Wirklichen, von der Dunkelheit zum Licht, von der Sterblichkeit zur Unsterblichkeit.

Pavamāna Mantra aus der Brhadāranyaka Upanishad, 1.3.28. Seite 5, Vers 14, Jivamukti Chantbook.

„Stell dir vor, du lebst in einer Dimension, in der du die volle Kontrolle hast. Nichts geschieht ohne deine Erlaubnis und alles, was nach deinem Wunsch geschehen soll, geschieht. Eine Weile genießt du wahrscheinlich die unzähligen Vergnügen und den Luxus. Dann jedoch beginnst du, dich zu langweilen und Abenteuer für dich selbst zu erfinden, die eine Herausforderung zu bergen scheinen, zum Beispiel die Rettung eines Fräuleins vor dem Feuerdrachen. Doch auch das verliert nach einer Zeit seinen Reiz, da du letzten Endes immer die Kontrolle hast. Die Herausforderung ist nicht echt, denn du kannst nicht scheitern. Früher oder später holen dich Langeweile, Antriebslosigkeit und abgestumpfte Niedergeschlagenheit ein – allesamt Zeichen eines stagnierenden Bewusstseins. Eines Tages erscheint eine Zaubermaschine, die du dir nicht gewünscht hast. Darauf befindet sich ein großer Knopf und neben dem Knopf ein Hinweis: ‚Wenn du diesen Knopf drückst, kann alles geschehen – von unbändiger Freude, die deine kühnsten Träume übertrifft über Ängste, die dunkler sind als in deinen bösesten Albträumen bis hin zu beidem, was wahrscheinlicher ist. Wenn du diesen Knopf drückst, wirst du vergessen, ihn gedrückt zu haben und in einen Ozean mit unendlichen Möglichkeiten eintauchen.‘ Wirst du das Risiko eingehen? Wirst du dich auf das Abenteuer einlassen?“

Tantra Illuminated, Seite 86.

Der Knopf wurde natürlich zu diesem Zeitpunkt schon längst gedrückt. Und jetzt möchtest du wieder aufwachen und an den Ort zurückkehren, wo du warst, bevor du den Knopf gedrückt hast. Du wünschst dir die Kontrolle zurück. Das ist Lila, das göttliche Spiel. Der Weg der Liebe. Der Weg der/des Eingebundenen, die/der sich immer wieder hin und zurück bewegt.

Unsere Lebensreise ist das Erwachen aus dem Irrglauben der Trennung unseres eigenen Selbst und Anderer hin zur Erkennung unseres wahren Selbst. Der Weg von Moksha (Befreiung) und Bodha (Erwachen) ist ein Weg der Auflösung der Illusion: ein Weg, auf dem wir Anhaftungen loslassen; die Art, wie Dinge sind sowie Richtig und Falsch loslassen; loslassen und noch mehr loslassen; steife Bilder auflösen, die wir mit uns herumtragen und die die allgegenwärtige Realität der wahren Natur verschleiern.

Als Yogapraktizierende:r möchtest du mit großer Wahrscheinlichkeit tiefer eintauchen und entdecken, was sich hinter dem Verborgenen verbirgt. Dir genügt es vermutlich nicht, an der Oberfläche des Lebens zu tanzen. Du wirst lernen, dass unsere Welt ein natürlicher Prozess ist und keine Anhäufung von Gegenständen. Alle Elemente jedes lebendigen Wesens und leblosen Gegenstandes im Universum sind in stetigem Wandel begriffen. Die Planeten sind in ständiger Bewegung, ihre Position im Verhältnis zueinander und zu anderen Astralkörpern ist in stetigem Fluss. Die Jahreszeiten stehen nie still. Unsere Körper und die Zellen, aus denen wir bestehen, kommen in diese Welt, wachsen, leben, verfallen und sterben schließlich. Unsere Emotionen sind niemals konstant und wir bewegen uns ständig zwischen Glück, Leid und Wut. Selbst die Überzeugungen unseres Geistes bleiben nur selten über die Zeit hinweg starr. Gemäß der Vedanta erscheint uns dies zwar echt – ist es aber nicht. Aus diesem Lebenszyklus, den Täuschungen von Samsara, möchten wir erwachen.

Du bist Bewusstsein, das durch deine Augen blickt und die Realität aus deiner einzigartigen Perspektive wahrnimmt.

Wessen du dir im Grunde gewahr wirst, ist ein perfekt gestalteter Traum, der dich zum Lernen und Wachsen, zum echten Fühlen und Erfahren von Schmerz, Liebe und des Lebens in all seinen möglichen Facetten bewegen soll. Es gibt viele Ebenen, über die ein Mensch das erkennen kann. In der klassischen Tantra Yoga-Philosophie gibt es 36 Tattvas oder Realitätsprinzipien. Von der Erde bis zur höchsten Stufe des unendlichen, wonnevollen Bewusstseins.

Bewusstsein ist die Basis aller Dinge. Es gibt drei gängige Bewusstseinszustände, die alle Lebewesen erfahren: Jāgrat, der Wach-, Svapna, der Traum- und Sushupti, der Tiefschlafzustand, in dem wir nicht träumen. Im wachen Zustand bestehen unsere Gedanken aus Erinnerungen aus der Vergangenheit und Zukunft. Die Realität ist die physische Welt in Raum und Zeit. Der Traumzustand birgt das Potenzial, uns dabei zu helfen, unvollbrachte Handlungen aus der Vergangenheit aufzulösen. Träume können uns befreien, indem sie das Bewusste mit dem Unbewussten vereinen und uns auf diese Weise den Weg für ein Leben mit weniger Verwirrung ebnen. Im tiefen traumlosen Schlaf schläft unser Ego und verbindet sich mit dem göttlichen Selbst. Erst wenn wir im Wachzustand die Tiefschlafvereinigung mit der Quelle erleben und uns mit nichts mehr identifizieren, haben wir den vierten, unsterblichen Bewusstseinszustand Turiya erreicht: Das ist das Wesen des Selbst, unser Kern, der Glückseligkeit, Ekstase und grenzenlose Freiheit ist.

Yogi:nis wollen den Māyā-Schleier heben und sich von der gefärbten Brille befreien, um die Realität unverfälscht zu erkennen. Ganz unabhängig davon, wie herausfordernd das sein kann. Diese Menschen zieht Moksha und nicht Bhoga an. Sie sind jene, die im Traum erwachen, diesen als solchen identifizieren und dennoch weiterträumen. Sie erfüllen im Leben ihre Rolle. Sie tragen zum Wohl Anderer bei. Sie leben ihr Leben mit all ihren Fähigkeiten, indem sie das Leben anderer Lebewesen erheben. Sie sind jene, die in der Lage sind, die vierte Wand zu durchbrechen. Sie sind die Jivanmuktas. Gelegentlich werden Schauspieler:innen die unsichtbare Barriere überschreiten, indem sie mit dem Publikum interagieren und kommunizieren. Sie werden das Schauspiel als Schauspiel bezeichnen und Charaktere vermischen. Die Darsteller:innen werden sich vielleicht sogar von ihren Rollen abwenden und für eine Weile sich selbst spielen. Das Durchbrechen der vierten Wand kann überraschend und erfrischend sein, Spaß machen und den Zuschauer:innen im laufenden Schauspiel eine Brücke zu einer Metaebene aufzeigen. Interessanterweise bedeutet Bhūmika Rolle, Ebene oder Chance. Im klassischen Tantra ist von der Endstufe Turyātitām die Rede. Diese geht über den vierten Bewusstseinszustand hinaus, ist jedoch nicht der fünfte. Wenn du erwachst, ändert sich alles in deiner Umgebung und erwacht mit dir. Du erkennst alles als Teil eines Ganzen: Du fühlst dich ganz und gleichzeitig allein mit Gott. Magie ist weiterhin Magie. Sie bedeutet schlichtweg, das Leben zu leben. Für die Ewigkeit. Mit dem Wunder der Liebe.

Wie fühlt sich Befreiung an? Befreiung ist das Gefühl vollkommener Lebendigkeit. Wenn du frei bist von mentalen Konstrukten, weißt, dass du nichts weißt und offen bleibst. Wie ein Kind lebst du in diesem Zustand das Leben im freien Fall und in seiner üppigen Fülle. Du begegnest dem Leben als ungefilterte Offenbarung, als unerklärliches wunderbares Mysterium, das untrennbar vom Mysterium deiner eigenen Existenz ist. Du erkennst, dass du fällst und es keinen Boden gibt, auf dem du aufprallen wirst. Du fliegst. Alles ist möglich.

Teaching Tips

Außerhalb der Matte:

  • Verbringe den Monat (oder dein Leben) mit Filmabenden und öffne deinen Geist für das Unvorstellbare.
  • Matrix. Dispatches from elsewhere (Fernsehserie). The Institute (Dokumentarfilm). The Greatest Showman. Aladdin. Vanilla Sky. Sechzehn Stunden Ewigkeit. Avatar. Und täglich grüßt das Murmeltier. Inception. Matrjoschka (Fernsehserie) Primer. Predestination. Dark (Fernsehserie). Frozen 2. His Dark Materials (Fernsehserie). Kumaré. Being John Malkovich.

Lesetipps zur Inspiration und zum Eintauchen:

  • „Tantra Illuminated“ und „The Recognition Sutras“ von Christopher Wallis. „Magic is a shift in perception“ von Sharon Gannon. „Dream yoga“ von Andrew Holecek. Geschichten von Mahābhārata und weitere Abenteuerliteratur.

Inspirierende Musik und Songtexte:

  • „Who am I“ von Estas Tonne. „Adventure of a Lifetime“ von Kenzie Nimmo (oder Coldplay). „I have a dream“ von ABBA. „Irony“ von Christopher. „Dream a little dream of me“ von Louis Armstrong, Ella Fitzgerald. „Dream on“ von Aerosmith. „Vivir mi vida“ von Marc Anthony. „Another day in paradise“ von Phil Collins. „Everything I wanted“ von Billie Eilish. „Magic carpet ride“ von Mighty Dub Katz. „A whole new world“ von Mena Massed. „The Greatest Show“ von Hugh Jackman. „Dream“ von Alan Watts. „I’m coming out“ von Diana Ross. „Time to wake up“ von Radharani. „Wake me up before you go-go“ von Wham. „The miracle of love“ von Eurythmics. „O“ von Coldplay. „Free fallin’“ von Tom Petty. „Freedom“ von Maychild. „Pilgrim“ von Nithin Sawhney. „Loin“ von GIMS. „Imagine“ von John Lennon. „Revelations“ von Yoko Ono.

Traumyoga-Praxis:

  • Tägliche Praxis zum Erwachen: Springe jedes Mal auf- und ab, wenn etwas Merkwürdiges, Lustiges oder Ungewöhnliches geschieht. Sage zu dir selbst: „Ich träume, ich träume, ich träume.“ Das wird dir dabei helfen, den Traum als solchen zu enttarnen und dich im Traum in Klarheit erwachen lassen, ohne aus der Traumwelt zu erwachen.
  • Weitere Techniken findest du im Buch „Dream Yoga“ von Andrew Holecek.

Auf der Matte:

  • Verwandle deine Yogamatte zu deinem Zauberteppich, der dich auf Abenteuer und Reisen jenseits deiner Vorstellungskraft mitnimmt.
  • Märchenstunde: Lies Auszüge aus wundersamen Geschichten, Lyrik und Songtexte schöner Lieder, um dein Gehör zu schulen.
  • Nutze Musik, die die Klasse in andere Erfahrungssphären versetzt.
  • Chante das Moksha/Mahāmrtyunjaya Mantra und erkläre seine Bedeutung und Geschichte.
  • Baue deine Klasse wie die Schnellversion eines Lebens auf: Beginne in der Kleinkindhaltung oder Savasana und ende mit Savasana.
  • Das Leben hat seinen eigenen Zweck und verläuft in Wellen, Höhen und Tiefen. Es ist perfekt, so wie es ist.
  • Lass die Asanapraxis eine Praxis der Bewegung hin und her sein. Erlaube es dem Körper, sich innerhalb der Asana zu bewegen, halte dich nicht zurück, gib nach und schwinge mit. Lass alte Muster durch Bewegung und Schwingen los. So schmierst du Gelenke und umliegende Muskeln, Sehnen und Faszien. Öffne den Körper dort, wo dich etwas zurückhält, damit Prana frei fließen kann.
  • Bringe Leben in jede Asana und Verkörperung: Versuche dich in unterschiedlichen Sichtweisen, indem du einen Vogel, einen Berg, ein Krokodil usw. nachahmst. Du bist nicht deine Rollen, auch wenn du Rollen spielst.
  • Spiele! Spiele mit Umkehrhaltungen, fliege, tanze (vgl. hierzu „Mein magischer Morgen: 10 Übungen für mehr Achtsamkeit, Gesundheit und inneren Frieden“ von Sharon Gannon) oder mache in der Klasse etwas, das du selten tust oder noch nie getan hast – einfach nur, um mal etwas anders zu machen. Wechsle die Perspektive, sodass du als Lehrende:r Teil des Schauspiels wirst und nicht nur Zuschauer:in/Architekt:in/Vermittler:in bist.
  • Unterrichte und praktiziere Trataka: Sieh den Schatten der flackernden Flamme auf dem Bildschirm hinter deinen Augen.
  • Unterrichte die Praxis von Yoga Nidra: Lass den Körper schlafen, während „das Du“ wach bleibt.

 

Englisches Original: Tone Overlev

Deutsche Übersetzung: Judith Quijano (Instagram: @quijanolanguages / Twitter: @Ju_Quijano)