Svādhyāya – Selbststudium Erinnere dich daran, wer du bist – (German)

by Manizeh Rimer |
November, 2023
Oṁ
sītā rāma sitā rāma
jaya sītā rāma

Sita and Rama, may you be victorious.

Svādhyāya bedeutet wörtlich das eigene Studium, Selbststudium oder „sich unter allen Umständen ohne Ablenkung auf das Höchste Selbst konzentrieren“. Svādhyāya ist Patanjalis viertes Niyama, also die „Do’s“ oder Verhaltensregeln, und die zweite Stufe seines achtgliedrigen Pfades. Fast alle von uns müssen sich anstrengen und üben, um an einen Punkt zu gelangen, an dem wir endlich loslassen und unsere eigene wahre Natur bzw. erfahren können, wer wir wirklich sind. Diese Anstrengung ist svādhyāya.

Am Anfang des Buches „The Wise Heart“ ist eine wunderbare Geschichte beschrieben. In einem großen Tempel nördlich von Thailands alter Hauptstadt Sukotai stand einst eine riesige, uralte Buddhastatue aus Ton. Sie hielt schrecklichen Stürmen, Regierungswechseln und marodierenden Armeen stand. Eines Tages bemerkten die Mönche, die den Tempel hüteten, Risse in der Statue. Nach einer Zeit mit besonders trockenem und heißem Wetter wurde einer der Risse so breit, dass ein neugieriger Mönch mit seiner Taschenlampe in den Spalt hineinspähte. Ihm entgegen strahlte leuchtendes Gold. Die Mönche entdeckten im Inneren dieser schlichten alten Statue einen der größten und leuchtendsten goldenen Buddhas, die je geschaffen wurden. Der Buddha war mit Gips und Lehm bedeckt worden, um ihn in Zeiten von Krieg und Unruhe zu schützen. In ähnlicher Weise begegnen auch wir bedrohlichen Situationen, die dazu führen, dass wir uns schützen und unsere eigene wesentliche Natur verbergen wollen. Doch unsere angeborene Gesinnung will durchscheinen, egal wie sehr wir versuchen, sie zu verstecken. Wie können wir uns also daran erinnern, wer wir wirklich sind?

Etwas, das mir seit dem Teacher Training im Gedächtnis geblieben ist, ist Sharons Stimme, die uns daran erinnert, dass „Yogin:is sowohl radikal als auch praktisch sind“. Radikal, weil wir zum Kern der Sache vordringen wollen. Praktisch, weil wir wissen wollen, wie man es macht.

Svādhyāya wird oft als das Studium des Selbst durch das Studium der Schriften übersetzt. Die Schriften halten uns einen Spiegel vor, in dem wir unsere eigene wahre Natur erkennen können. „Für den Seher sind alle Dinge wahrhaftig zum Selbst geworden: Welche Täuschung, welcher Kummer kann es für den geben, der diese Einheit sieht?“ (Isha Upanishad). Das Studium dieser alten Texte und der Schriften erwachter Wesen erinnert uns daran, dass andere vor uns auf diesem Weg waren und dass die Erfahrung unserer eigentlichen Natur für uns in diesem Leben tatsächlich möglich ist. Wie B.K.S. Iyengar so wortgewandt sagte: „Der:Diejenige, der:die svādhyāya praktiziert, liest sein eigenes Buch des Lebens, während er:sie es gleichzeitig schreibt und überarbeitet. Seine:Ihre Einstellung zum Leben ändert sich. Er:Sie beginnt zu erkennen, dass die gesamte Schöpfung für bhakti (Hingabe) und nicht für bhoga (Genuss) bestimmt ist, dass die gesamte Schöpfung göttlich ist, dass es eine Göttlichkeit in ihm:ihr selbst gibt und dass die Energie, die ihn:sie bewegt, dieselbe ist, die das gesamte Universum bewegt.“

Im Grunde genommen sind alle Yogapraktiken eine Form des Selbststudiums, nicht nur das Studium der Schriften. Sie offenbaren uns, wer wir wirklich sind. Wir sind der Geist, die Seele, das Selbst („Self“ mit einem großen S) oder, wie John Coltrane es durch seine Musik erfahren und mit uns geteilt hat, „A Love Supreme“. Wenn du diese Erfahrung nicht gemacht hättest, würdest du das hier wahrscheinlich nicht lesen. Wie können wir uns also erinnern? Wie kommen wir an die Wurzel dessen, was wir wirklich sind? Wir erforschen uns selbst durch die verschiedenen Yogapraktiken, die uns wiederum unsere wahre Natur offenbaren.

Nisargadatta Maharaj sagte einmal: „Der Verstand erschafft den Abgrund, das Herz überquert ihn“. Das Singen hilft uns, in die tiefen, dunklen Ecken unseres Herzens vorzudringen, wo wir vielleicht Gefühle wie Scham, Verrat, Schuld, Schmerz und Wut vergraben haben. Es erinnert uns auch an die angeborene Fähigkeit unseres Herzens zur Freude. Letztlich offenbart es uns unsere Sehnsucht, wieder mit unserem Selbst vereint zu sein. Für mich ist Singen die stärkste Praxis.

Die körperliche Praxis verbindet uns wieder mit unserem Körper und hilft uns, uns nicht zu sehr an ihn zu binden. Die Praxis erinnert uns daran, dass wir mehr sind als unser Körper mit all seinen möglichen Schmerzen und seinem letztendlichen Verfall und Tod. Wir können das Altern unseres Körpers nicht verhindern, egal wie viel Botox wir spritzen.
Meditation hilft uns, uns daran zu erinnern, dass unsere Gedanken genau das sind: unsere Gedanken. Und wow, das ist ein echtes Minenfeld da oben. Forschungen haben ergeben, dass eine durchschnittliche Person etwa 12 000 bis 60 000 Gedanken pro Tag hat. Von diesen Tausenden von Gedanken sind 80 % negativ und 95 % von ihnen sind genau die gleichen, sich wiederholenden Gedanken wie am Vortag.

Und so führen uns diese Praktiken zurück zu den Wurzeln dessen, was wir sind. Nicht unsere Geschichte, unser Geschlecht, unsere Hautfarbe oder wie erfolgreich wir sind, sondern wer wir unter all diesen Schichten sind. Wir erinnern uns daran, dass wir Geist sind und dass wir ein Herz haben, das so groß ist wie der Ozean, und dass wir darin Zuflucht finden können. Oder besser gesagt: Om Shri Krishna Sharanam Mama. Je mehr wir uns daran erinnern, desto mehr erfahren wir liebevolle Freundlichkeit gegenüber uns selbst (auch wenn es mühsam und langsam ist) und anderen. Wenn wir unser wahres Wesen nicht kennen, kann es sein, dass wir auf der Suche nach Bestätigung von außen stecken bleiben, und das ist bestenfalls ein riskantes Unterfangen. Die Erinnerung daran, wer wir sind, führt unweigerlich dazu, dass wir handeln und andere Wesen auf jede erdenkliche Weise erheben wollen. Es ist das offene und weiche Herz, das die Welt verändern kann. Wir beginnen, Lokah Samastah Sukhino Bhavantu zu verkörpern.

Teaching Tips

  1. Frage dich, was dir an diesem Thema am wichtigsten ist. Was hast du aus deinem eigenen Selbststudium gelernt? Was hat sich dadurch in deinem Leben verändert? Beginne hier, während du darüber nachdenkst, was du zu diesem Thema mitteilen möchtest.
  2. Lies Texte von den großen Lehrer:innen, die dich inspirieren, um dich daran zu erinnern, wer du bist: Sharon Gannon & David Life, Nisargadatta Maharaj, Shri Brahmananda Saraswati, Ram Dass, Jack Kornfield, Pema Chodron usw. Lies die Yoga Sutras, die Bhagavad Gita und vor allem die Upanishaden oder andere alte Texte, die Licht auf unsere wahre Natur werfen.
  3. Lies Gedichte, die Menschen helfen, mit ihrer angeborenen Güte, Weisheit und wahren Natur in Kontakt zu kommen: Walt Whitman, Kabir, Hafez, Sharon Gannon, Mary Oliver, Maya Angelou usw.
  4. Singe einen der Kirtan-Gesänge aus dem Jivamukti Yoga-Chantbook. Ermutige die Schüler:innen, diese Chants erst sich selbst und dann jemandem, den sie lieben, zu widmen und sie dann in die Welt hinauszuschicken (siehe das beigefügte Video, um den vorgeschlagenen Chant zu lernen). Sita Ram ist immer gut, um das Herz zu öffnen und sich wieder mit sich selbst zu verbinden. Die Geschichte von Sita und Ram erinnert uns an die Kraft der bedingungslosen Liebe (die in dir wohnt), die alles andere besiegt.
  5. Chante Om Shri Krishna Sharanam Mama und erkläre in deinen eigenen Worten, was es bedeutet, Zuflucht in deinem eigenen Herzen zu finden.
  6. Setze in deinem Asana-Unterricht den Fokus auf Rückbeugen. Erkläre, dass Rückbeugen schwierig sind, weil sie uns helfen, uns darin zu üben, offenherzig und mit unserer wahren Natur verbunden zu bleiben, egal was auf uns zukommt.
  7. Unterrichte Pincha Mayurasana in all seinen Bestandteilen. Pfaue verbinden sich auf der Ebene der Seele, nicht der Persönlichkeit.
  8. Übt gemeinsam Metta. Wiederhole Sätze der liebenden Güte zu dir selbst und dann zu einem anderen Menschen.
    Zum Beispiel: Möge ich von liebevoller Güte erfüllt sein.
    Möge es mir in Körper und Geist gut gehen.
    Möge ich mich wohlfühlen und glücklich sein.